Prä- und postnatale Exposition gegenüber Phthalaten

Das Projekt wurde mit Unterstützung durch das Bundesinstitut für Risikoabschätzung vom Sachgebiet Chemikaliensicherheit und Toxikologie des Bayerischen Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) in Kooperation mit der 1. Frauenklinik der Ludwig-Maximilians-Universität München durchgeführt. Dabei sollte die Exposition gegenüber Schadstoffen im prä- und postnatalen Lebensbereich von Frauen und Kindern im zeitlichen Verlauf untersucht werden.

Hintergrund

Die Phthalate sind Ester der 1,2-Benzoldicarbonsäure (ortho-Phthalsäure) und seit über 40 Jahren im großtechnischen Einsatz. Aufgrund ihrer chemisch-physikalischen Charakteristika werden Phthalate zu ungefähr 90 % als Weichmacher, insbesondere bei der Herstellung von Weich-PVC und anderen Polymerisaten, eingesetzt (Gülden et al. 1997). Deshalb finden sie derzeit Anwendung in vielen Produkten der Medizin wie Infusions- und Dialysebeuteln, Handschuhen und Kontaktlinsen. Weitere Anwendungsbereiche sind der Einsatz als Dielektrikum in Kondensatoren, Entschäumer bei der Papierherstellung, Emulgatoren für Kosmetika, Hilfsstoffe in Pharmaka, Textilhilfsstoffe, Beschichtungssysteme, Formulierungsmittel in Pestiziden Betonzusatzstoffe, in Klebstoffen, Farben/Lacken und Dichtungsmassen (Leisewitz 1997; FDA 2001; Hauser et al. 2004; Green et al. 2004).

Grundsätzlich ist der Eintrag in die Umwelt im Rahmen von Produktion und Verteilung während der Herstellung der Endprodukte, ihrem Gebrauch und ihrer Entsorgung gegeben, wobei Herstellung und Verwendung der Endprodukte den größten Mengenanteil stellen. Insbesondere aufgrund des Einsatzes als Weichmacher in einer Vielzahl von Produkten können Phthalate mittlerweile in allen Umweltkompartimenten und im menschlichen Organismus nachgewiesen werden (Koch et al. 2003; Becker et al. 2004; Fromme et al. 2004; CERHR 2005).

Beobachtungen zu chronischen Wirkungen beim Menschen lagen nur sehr begrenzt vor (Hauser & Calafat 2005). In einer epidemiologischen Untersuchung an 168 Männern ließ sich erstmals ein statistisch bedeutsamer Zusammenhang zwischen Spermiengehalt, -motilität und -morphologie und den Gehalten an Phthalatmetaboliten im Urin beobachten (Duty et al. 2003). Andere epidemiologische Studien beschrieben zudem einen Zusammenhang mit einer verkürzten Schwangerschaftsdauer, der Ausprägung einer Endometriose und der frühzeitigen Brustentwicklung bei jungen Frauen (Latini et al. 2003; Corbellis et al. 2003; Colon et al. 2000).

Im Tierexperiment zeigten Phthalsäureester bei subchronischen und chronischen Fütterungsversuchen Veränderungen an den Organen Leber, Niere und Testes (Hoden) sowie ein vermindertes Körpergewicht. Bei Nagern wurden Effekte wie zum Beispiel Leberhyperplasien und -hypertrophien, Peroxisomenproliferationen, Enzyminduktionen, verminderte Cholesterolsynthese und reduzierter Glykogengehalt beobachtet.

Verschiedene Untersuchungen konnten für DEHP bei Nagern Effekte auf den sich entwickelnden Fetus nachweisen (Richburg et al. 1996; Wine et al. 1997; Arcadi et al. 1998). Insbesondere wurden Veränderungen im Sinne eines geringeren Geburtsgewichts, einer verminderten Nachkommenzahl und verschiedener Missbildungen (Enzephalien, Augen- und Knochenmissbildungen) beschrieben. Das DEHP scheint dabei unter den Phthalsäureestern das größte reproduktionstoxische Potenzial zu besitzen, während sehr kurzkettige Phthalate wie Diethylphthalat (DEP) hier kaum Wirkungen zeigen. Zwei DEHP-Metaboliten, 5OH-MEHP und 5oxo-MEHP, wirkten nach in-vitro-Befunden embryotoxisch und antiandrogen (Regnier et al., 2004; Stroheker et al., 2005).

Nach oraler Zufuhr von DEHP, DBP und BBP konnten Testesatrophien bei Ratten und Mäusen nachgewiesen werden. Die Wirkungen waren dabei abhängig von der Dosis und dem Alter der Versuchstiere, wobei sich juvenile Tiere am empfindlichsten zeigten (Sjöberg et al., 1986; Wine et al. 1997). Grundlagen dieser Effekte scheinen biochemische und morphologische Veränderungen der Sertolizellen zu sein. Der genaue Wirkmechanismus der testikulären Toxizität ist jedoch noch nicht bekannt. Es wird angenommen, dass die Phthalatmetabolite die Wirkungen des follikelstimulierenden Hormons (FSH) auf die Sertolizellen beeinflussen und damit auch die hormonelle Steuerung der Spermienbildung (Spermatogenese) beeinflussen können.

Auf der Basis der Daten zur Hodentoxizität wurde vom "EU Scientific Committee on Toxicity, Ecotoxicity and the Environment" für DEHP ein "No Observed Adverse Effect Level" (NOAEL) von 4,8 mg/kg angenommen (CSTEE, 2004). Grundlage für diese Abschätzung war eine Dreigenerationenstudie an Ratten (Wolfe und Layton, 2003).

Wesentliche Ziele des Projektes

  • Bestimmung der Stoffwechselprodukte (Metabolite) von verschiedenen Phthalaten (z. B. vom Di-n-butylphthalat (DnBP), Di-isobutylphthalat (DiBP), Benzylbutylphthalat (BzBP), Di-2-ethylhexylphthalat (DEHP), Di-isononylphthalat (DiNP) im Urin der Schwangeren, der Mütter und der Kinder sowie in der Muttermilch im zeitlichen Verlauf.
  • Insgesamt sollten erstmals aussagekräftige Daten zur inneren Exposition gegenüber diesen toxikologisch bedenklichen Substanzen in der wichtigen prä- und postnatalen Lebensperiode erhoben und der Anteil, der in die Muttermilch übergeht, quantifiziert werden.

Durchführung

Im Rahmen der Untersuchung wurden insgesamt 44 Teilnehmerinnen, die kurz vor der Geburt ihres ersten Kindes standen, zur Teilnahme an der Studie gewonnen. Mittels eines Fragebogens wurden potenzielle Einflussfaktoren auf die interne Belastung mit Phthalaten erfragt. Hierzu zählen z. B. eine mögliche berufliche Exposition, besondere Ernährungsgewohnheiten und die Bedingungen des unmittelbaren Lebensumfeldes. Urinproben wurden bei den Schwangeren/Müttern vor, während und bis sechs Monate nach der Geburt regelmäßig entnommen. Muttermilchproben wurden zeitgleich während der ersten fünf Lebensmonate des Kindes monatlich gewonnen.

Ergebnisse

Mittlerweile liegen zum Projekt folgende Ergebnisse vor:

Wissenschaftliche Veröffentlichungen

  • H. Fromme, U. Raab, P. Fürst, B. Vieht, W. Völkel, M. Albrecht, U. Schwegler (2011) Vorkommen und gesundheitliche Bedeutung von persistenten organischen Substanzen (PCDD/F, dl-PCB, PBDE, PFC) und Phthalaten in der Muttermilch. Das Gesundheitswesen 73, e27–e43.
    http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/21283965
  • H. Fromme, L. Gruber, E. Seckin, U. Raab, S. Zimmermann, M. Kiranoglu, M. Schlummer, U. Schwegler, S. Smolic, W. Völkel (2011) Phthalates and their metabolites in breast milk – results from the Bavarian Monitoring of Breast Milk (BAMBI). Environment International 37, 715–722.
    http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/21406311
  • W. Völkel, M. Kiranoglu, R. Schuster, H. Fromme (2014) Phthalate intake by infants calculated from biomonitoring data. Toxicology Letters 225, 222-229.
    http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/24374175

Literatur

  • Arcadi FA, Costa C, Imperatore C, Marchese A, Papisarda A, Salemi M, Trimarchi GR, Costa G (1998) Oral toxicity of Bis(2-ethylhexyl)phthalate during pregnancy and suckling in the Long-Evans-rat. Food Chem Toxicol 36: 963–970.
  • Becker K, Seiwert M, Angerer J, Heger W, Koch HM, Nagorka R, Roßkamp E, Schlüter C, Seifert B, Ullrich D (2004) DEHP metabolites in urine of children and DEHP in house dust. Int J Hyg Environ Health 207: 409–417.
  • CERHR (NTP-Center for the Evaluation of Risks to Human Reproduction) (2005) National Toxicology Program-CERHR expert panel update on the reproductive and developmental toxicity of Di(2-ethylhexyl)phthalate. Research Triangle Park, NC.
  • Colon I, Caro D, Bourdony CJ, Rosario O (2000) Identification of phthalate esters in the serum of young Puerto Rican girls with premature breast development. Environ Health Perspect 108: 895–900.
  • Corbellis L, Latini G, DeFelice C, Razzi S, Paris I, Ruggieri F, Mazzeo P, Petraglia F (2003) High plasma concentrations of di-(2-ethylhexyl)-phthalate in women with endometriosis. Hum Reprod 18: 1512–1515.
  • CSTEE (2004) Opinion on the results of a second risk assessment of: Bis(2- ethylhexyl) phthalate (DEHP). Human health part.
  • Duty SM, Silva MJ, Barr DB, Brock JW, Ryan L, Chen Z, Herrick RF, Christiani DC, Hauser R (2003) Phthalate exposure and human semen parameters. Epidemiology 14: 269–277.
  • FDA (U.S. Food and Drug Administration) Center for Devices and Radiological Health. (2001) Safety assessment of Di(2-ethylhexyl)phthalate (DEHP) released from medical devices. Report. Rockville, MD.
  • Fromme H, Lahrz T, Piloty M, Gebhart H, Oddoy A, Rüden H (2004) Occurrence of phthalates and musk fragrances in indoor air and dust from apartments and kindergartens in Berlin (Germany). Indoor Air 14: 188–195.
  • Green R, Hauser R, Calafat AM, Weuve J, Schettler T, Ringer S, Huttner K, Hu H (2005) Use of di(2-ethylhexyl) phthalate – containing medical products and urinary levels of mono(2-ethylhexyl) phthalate in neonatal intensive care unit infants. Environ Health Perspect 113: 1222–1225.
  • Gülden M, Turan A, Seibert H (1997) Substanzen mit endokriner Wirkung in Oberflächengewässern. Forschungsbericht 10204279. UBA Texte 46/97.
  • Hauser R, Duty S, Godfrey-Bailey L, Calafat AM (2004) Medications as a source of human exposure to phthalates: a case report. Environ Health Perspect 112: 751–753.
  • Hauser R, Calafat AM (2005) Phthalates and human health. Occup Environ Med 62: 806–818.
  • Koch HM, Rossbach B, Drexler H, Angerer J (2003) Internal exposure of the general population to DEHP and other phthalates – determination of secondary and primary phthalate monoester metabolites in urine. Environ Res 93: 177–185.
  • Latini G, De Felice C, Presta G, Del Vecchio A, Paris I, Ruggireri F, Mazzeo P (2003) In utero exposure to di-(2-ethylhexyl)phthalate and duration of human pregnancy. Environ Health Perspect 111: 1783–1785.
  • Leisewitz A (1997) Stoffströme wichtiger hormonell wirkender Substanzen. UBA-Projekt Nr. 10601076. Im Auftrag des Umweltbundesamtes.
  • Regnier J, Bowden C, Lhuguenot J (2004) Effects on rat embryonic development in vitro of di-(2-ethylhexyl) phthalate (DEHP) and its metabolites. The Toxicologist CD – an Official Journal of the Society of Toxicology 78:187.
  • Richburg JH, Boekelheide K (1996) Mono(2-ethylhexyl)phthalate rapidly alters both sertoli cell vimentin filaments and germ cell apoptosis in young rat testes. Toxicol Appl Pharmacol 137: 42–50.
  • Sjöberg P, Bondesson U, Gray TJ, Ploen L (1986) Effects of di-(2-ethylhexyl) phthalate and five of its metabolites on rat testis in vivo and in in vitro. Acta Pharmacol Toxicol 58: 225–233.
  • Stroheker T, Cabaton N, Nourdin G, Regnier JF, Lhuguenot JC, Chagnon MC (2005) Evaluation of anti-androgenic activity of di-(2-ethylhexyl)phthalate. Toxicology 208: 115–121.
  • Wine RN, Li L-H, Barnes LH, Gulati DK, Chapin RE (1997) Reproductive toxicity of Di-n-butylphthalate in a continuous breeding protocol in Sprague-Dawley Rats. Environ Health Perspect 105: 102–107.
  • Wolfe GW, Layton KA (2003) Multigeneration reproduction toxicity study in rats (unaudited draft): Diethylhexylphthalate: Multigenerational reproductive assessment by continuous breeding when administered to Sprague-Dawley rats in the diet. TherImmune Research Corporation (Gaithersburg, Maryland), TRC Study No 7244–200.

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