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Herausforderungen für die Versorgungsforschung am Tumorregister München an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) im Klinikum Großhadern
Prof. Dr. med. Jutta Engel, Dr. rer. biol. hum. Gabriele Schubert-Fritschle, Prof. Dr. rer. biol. hum. Dieter Hölzel, Tumorregister München (TRM) im Institut für Medizinische Informationsverarbeitung, Biometrie und Epidemiologie (IBE), Klinikum Großhadern:
Zu keiner anderen Erkrankung sind vergleichbar detaillierte und bevölkerungsbezogene Daten über Befunde, Behandlungen und Krankheitsverlauf verfügbar wie für Krebserkrankungen. Herausfordernd ist, die in Daten kodierte klinische Erfahrung transparent zu machen und zu nutzen. Die Daten sind in der Regel prospektiv erhoben und haben als Kohortenstudien eine Aussagekraft mit einem Evidenzlevel II. Aufgrund von Kontraindikationen, Komorbidität und individuellen Präferenzen erfolgen im Versorgungsalltag allerdings Behandlungen, die in keiner Studie erprobt werden können. Zudem ist fast jede randomisierte klinische Studie grundsätzlich bzgl. Alltagsversorgung und Ausmaß der Therapien zu hinterfragen. Deshalb sind die in Leitlinien fixierten Empfehlungen mit einem Level of Evidence (LoE) I-V und die erreichten Ergebnisse an Hand der Versorgungsdaten zu beschreiben, zu überprüfen und gegebenenfalls zu optimieren. Der Verzicht auf extensive Bildgebung und Labordiagnostik in der Nachsorge bei asymptomatischen Patienten [1,2], die Überdiagnostik beim Prostatakarzinom [3,4], der begrenzte Nutzen der axillären Lymphadenektomie [5,6] oder detaillierte Aussagen zum Metastasierungsprozess [7,8] sind Beispiele aus dem Tumorregister München (TRM), die zeigen, welche Aussagen aus Krebsregisterdaten abgeleitet werden können. Auf die Notwendigkeit der Nutzung von Kohortenstudien und das entsprechende Methodenrepertoire wird zunehmend auch unter dem Begriff „comparative effectiveness research“ hingewiesen [9,10,11].
Die eigentliche Herausforderung besteht somit darin, Hypothesen und Wissen mit Klinikern und Forschern zu erarbeiten und es für die Forschung und Versorgung zu nutzen, also handlungsrelevant werden zu lassen. Insbesondere im Zeitalter der „targeted“ Therapien und der genetischen Differenzierung der Krebserkrankungen stellt sich wiederum die Frage, wie aus der Alltagsversorgung mit monoklonalen Antikörpern, small molecules und den tradierten systemischen Therapien in Kombination mit der Strahlentherapie Wissen über dieses komplexe ärztliche Handeln gewonnen werden kann. Die therapieabhängig sich verändernden Metastasierungsmuster und die damit variierenden Überlebenszeiten liegen vor und warten auf Nutzung für das ärztliche Handeln. Gerade die immer teurer werdenden Arzneimittel für Krebserkrankungen erfordern Daten zur Transparenz und zum Nutzen in der Alltagsversorgung [12].
Vielseitige weitere Fragen der Versorgungsforschung zum Beispiel zum Finanzierungssystem, zu den Organisationsstrukturen, die die Versorgungsketten jedes Patienten mit teilweise konkurrierenden Beiträgen aus dem ambulanten und stationären Sektor tragen oder Fragen zum Zugang zur Versorgung gewinnen dann an Bedeutung, wenn die Ergebnisqualität relevant variieren sollte. Mögliche Einflüsse auf die Versorgungsqualität wie variierende Arzt-Patienten-Kommunikation, soziale Schicht, Versicherungsart, Wohnort bzw. Zugang zum Gesundheitssystem aufzudecken, erfordert komplexe Auswertungen mit zusätzlichen oder bekannten Surrogatparametern. Dabei darf nicht übersehen werden, dass mit leicht zu formulierenden Fragen häufig weitere Dokumentationen erforderlich sind, die in eine überbordende Bürokratie für weitergehende Adjustierungen der Ergebnisse ausufern können. Solche Fragestellungen sollten daher v.a. dann aufgegriffen werden, wenn mit den weitestgehend verfügbaren Daten ein Zusammenhang mit der Umsetzung der Leitlinien postuliert werden kann. Die Optimierung und Ausschöpfung der verfügbaren Daten ist also eine zentrale Herausforderung an klinische Krebsregister.
Komplexes Handeln erfordert auch eine komplexe Abstraktion in auswertbare Daten, so dass eine enge Vernetzung der Krebsregister mit den Ärzten für gute Qualität der Daten und deren Nutzung erforderlich ist. Fachwissen und die impliziten Randbedingungen der Datenerhebung sind elementare Voraussetzungen für die Datennutzung [13,14,15]. Dies wird auch die große Herausforderung bei der Umsetzung des Krebsfrüherkennungs- und -registergesetzes (KFRG) [16].
Referenzen:
1 Hölzel D, Thieme Ch. Die Skelettszintigraphie in der Nachsorge des Mammakarzinoms.
Dtsch med Wschr 1986;111:1191-99
2 Hellriegel KP, Schulz KD, Hölzel D. Nachsorgeempfehlungen bei Mammakarzinom-Patientinnen: Empfehlungen einer
Konsensus-Tagung. Forum DKG 1995; H10:272
3 Hölzel D. Prostatakarzinom – Ist die Früherkennung in einer Sackgasse?
Dtsch Arztebl 1995; 92:A1839-1854
4 Schubert-Fritschle G, Weißbach L, Hölzel D. Nachsorge oder keine Nachsorge – das ist hier die Frage!
Der Urologe 2005;44(9):991-996
5 Engel J, Lebeau A, Sauer H, Hölzel D. Are we waisting our time with the sentinel technique?
Fifteen reasons to stop axilla dissection. The Breast 2006; 15:451-454
6 Engel J, Emeny RT, Hölzel D. Positive lymph nodes do not metastasize.
Cancer Metastasis Rev 2012 Jun;31:235-46
7 Engel J, Eckel R, Kerr J, Schmidt M, Fürstenberger G, Richter R, Sauer H, Senn HJ, Hölzel D.
The Process of Metastasisation for Breast Cancer. Eur J Cancer 2003;39:1794-1806
8 Hölzel D, Eckel R, Emeny RT, Engel J. Distant metastases do not metastasize.
Cancer Metastasis Rev 2010;29:737-750
9 Iglehart JK. Prioritizing comparative-effectiveness research-IOM recommendations. N Engl J Med 2009; 361: 325-328.
10 Lyman GH. Comparative Effectiveness Research in Oncology: The Need for Clarity, Transparency and Vision.
Cancer Investigation. 2009;27(6):593-7.
11 Hershman DL, Wright JD. Comparative effectiveness research in oncology methodology: observational data.
J Clin Oncol. 2012;30(34):4215-22.
12 Hölzel D, Engel J. Klinische Krebsregister – Auf Erfahrungen aus dem Alltag kann nicht verzichtet werden.
Dt. Ärzteblatt 2012;109:A 424-425
13 Engel J, Pfaff H, Hoffmann W, Hölzel D. Perspektiven für klinische Krebsregister in Deutschland.
http://www.koqk.de/ 8.6.2012
14 Engel J, Schubert-Fritschle G. Rückmeldesysteme und Leistungsvergleiche mit Krebsregistern.
Onkologe 2011;17:126-134
15 Hölzel D. Versorgungsforschung mit Krebsregistern. Onkologe 2011;17:143-15
16 Bundesgesetzblatt: Gesetz zur Weiterentwicklung der Krebsfrüherkennung und zur Qualitätssicherung durch klinische Krebsregister (Krebsfrüherkennungs- und -registergesetz KFRG) Jahrgang 2013 Teil I Nr. 16, ausgegeben zu Bonn am 8. April 2013