Perfluorierte Substanzen in Blutproben aus dem Landkreis Altötting: Beurteilung des Risikos für Leber-, Hoden- und Nierenkrebs in den untersuchten Gemeinden
In Gendorf im Landkreis Altötting wurden früher perfluorierte Kohlenwasserstoffe, hier speziell Perfluoroctansäure (PFOA), im Rahmen der Fluorpolymerherstellung verwendet. Seit 2008 wurde PFOA durch das sogenannte ADONA (Ammoniumsalz der Perfluoro-4,8-dioxa-3H-nonansäure) ersetzt. Um zu prüfen, ob ADONA in die Umwelt gelangt und beim Menschen nachweisbar ist, hat das LGL Blutproben von Personen in der Nähe von Gendorf auf ADONA und weitere perfluorierte Substanzen untersucht. ADONA wurde in den meisten Proben gar nicht oder nur in Spuren gefunden. Aufgrund der bisherigen toxikologischen Kenntnisse zu ADONA sind negative gesundheitliche Wirkungen, auch langfristige, nach derzeitigem Kenntnisstand nicht zu erwarten. In der Nähe der Firma ist aufgrund einer Trinkwasserkontamination allerdings eine deutliche interne Belastung der Bevölkerung mit PFOA nachweisbar. Um Expositionsquellen, die sich aus Altlasten ergaben, zu minimieren und so die aus gesundheitlicher Sicht erwünschten Zielwerte zu erreichen, wurden unmittelbar Maßnahmen zur Senkung der Belastung ergriffen. Hierzu zählen auch Maßnahmen zur Trinkwasseraufbereitung.
Bezüglich PFOA wird in einer umfangreichen epidemiologische Studie im Umfeld eines Produzenten in den USA von einem wahrscheinlichen Zusammenhang zwischen der dortigen Trinkwasserbelastung und u. a. Hoden- und Nierentumoren berichtet (Vieira VM et al. (2013): Perfluorooctanoic acid exposure and cancer outcomes in a contaminated community: a geographic analysis. Environ Health Perspect. 121(3):318-23). Das Zentrum für Krebsfrüherkennung und Krebsregistrierung am LGL hat daher Krebsdaten aus den Gemeinden Burgkirchen a. d. Alz, Emmerting, Haiming, Kastl, Markt Marktl, Neuötting, Stammham, sowie Markt Tüßling im Landkreis Altötting ausgewertet.
Beurteilung des Zentrums für Krebsfrüherkennung und Krebsregistrierung
Der aktuellste derzeit verfügbare, vollzählig erfasste Diagnosejahrgang ist 2019. Aufgrund der geringen Bevölkerungsgröße der untersuchten Gemeinden wurde die nachfolgende Auswertung für den 10-Jahres-Zeitraum 2010 – 2019 durchgeführt.
Es wurde das Auftreten von Neuerkrankungen (SIR) an Hodenkrebs (ICD-10-Schlüssel C62) bei Männern bzw. Leberkrebs (ICD-10-Schlüssel C22) und Nierenkrebs (ICD-10-Schlüssel C64) getrennt nach Geschlecht (inklusive „death certificate only“-Fällen) in den exponierten Gemeinden im Landkreis Altötting berechnet.
Das SIR („standardized incidence ratio“) vergleicht die in der Gemeinde aufgetretene Zahl an Krebserkrankungen mit der zu erwartenden Zahl, basierend auf der Altersstruktur in der Gemeinde und den durchschnittlichen altersspezifischen Erkrankungsraten in Bayern. Ein SIR-Wert von 1 bedeutet, dass im betrachteten Gebiet weder eine Erhöhung noch eine Erniedrigung des Krebsrisikos gegenüber dem gesamtbayerischen Durchschnittswert vorliegt. Eine signifikante SIR-Erhöhung liegt vor, sofern der SIR-Wert größer als 1 ist und der angegebene Vertrauensbereich den Wert 1 nicht enthält.
Für die nachfolgende Berechnung der Konfidenzintervalle wurde aufgrund von multiplem Testen ein korrigierter Fehler 1. Art von 0,001 verwendet (Bonferroni-Korrektur).
Das SIR für die untersuchten Krebsarten ist in allen untersuchten Gemeinden weder bei Männern noch bei Frauen im Untersuchungszeitraum signifikant erhöht, das heißt die Erkrankungszahlen unterscheiden sich nicht wesentlich vom bayerischen Durchschnitt.
Zusammenfassend betrachtet ergeben sich derzeit keine Hinweise auf eine relevante Erhöhung des Risikos einer Neuerkrankung an Hoden- bzw. Nierenkrebs gegenüber dem bayerischen Durchschnittswert in Burgkirchen a. d. Alz, Emmerting, Haiming, Kastl, Markt Marktl, Neuötting, Stammham, sowie Markt Tüßling (Lkr. Altötting).
ICD 10 Schlüssel |
Geschlecht | Gemeldete Anzahl Neuerkrankungen* | Erwartete Anzahl Neuerkrankungen | SIR | Untere Schranke 99,9%-Vertrauensbereich (SIR)** | Obere Schranke 99,9%-Vertrauensbereich (SIR)** |
---|---|---|---|---|---|---|
C62 | Männer | 6 | 16,36 | 0,37 | 0,07 | 1,10 |
C22 | Männer | 27 | 29,80 | 0,91 | 0,44 | 1,64 |
C22 | Frauen | 10 | 11,22 | 0,89 | 0,24 | 2,25 |
C64 | Männer | 12 | 38,80 | 0,31 | 0,10 | 0,70 |
C64 | Frauen | 19 | 20,99 | 0,91 | 0,40 | 1,75 |
**Bewertung: Enthält das angegebene Konfidenzintervall des SIR den bayerischen Referenzwert 1, ist keine signifikante Veränderung der Neuerkrankungsrate der entsprechenden Gruppe zu erkennen
Erläuterung der "Schranken des Vertrauensbereichs": Berechnete Vertrauensbereiche der SIR enthalten (ggf. nach Korrektur für multiples Testen) im Mittel den wahren Wert der SIR mit einer Wahrscheinlichkeit von 95%. Wird die Berechnung für viele Stichproben aus derselben Grundgesamtheit wiederholt, so liefert sie Vertrauensbereiche, die den wahren Wert der SIR näherungsweise mit einer relativen Häufigkeit von 95% überdecken. Die untere bzw. obere Schranke stellen die Unter- bzw. Obergrenze des o. g. Vertrauensbereichs dar.