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In jüngster Zeit ist im Rahmen der Verhandlungen zum Transatlantischen Freihandelsabkommen (TTIP) sehr häufig von "Chlorhühnchen" aus den USA die Rede. Worum geht es dabei?
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Geflügelfleisch erfreut sich beim deutschen Verbraucher nach wie vor großer Beliebtheit; im Schnitt werden Angaben der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung zufolge 19 kg Geflügelfleisch pro Kopf und Jahr konsumiert. Der Verbraucher vertraut dabei darauf, dass das von ihm im Handel erworbene Geflügelfleisch gesundheitlich unbedenklich ist, d. h. beispielsweise keine Mikroorganismen enthalten sind, die beim Menschen lebensmittelbedingte Krankheiten auslösen können. Allerdings sind Krankheitserreger, wie z. B. Salmonella spp., thermophile Campylobacter spp. oder antibiotikaresistente Erreger wie Extended-β-Lactam- (ESBL)-bildende Escherichia coli nach wie vor in den Geflügelbeständen nachweisbar, so dass ihr Eintrag in die Lebensmittelkette derzeit nicht vollständig ausgeschlossen werden kann. Dies ist der Hintergrund dafür, warum im Bereich der Geflügelfleischproduktion immer wieder über den Einsatz chemischer Dekontaminationsverfahren diskutiert wird.
In den USA sind derartige Verfahren bereits zugelassen und werden routinemäßig im Bereich der Geflügelfleischproduktion verwendet; im Anschluss an Schlachten, Rupfen und Ausnehmen kommen u. a. Chlordioxid, saures Natriumchlorit, Trinatriumphosphat oder Peroxysäure zum Einsatz. Diese Präparate werden entweder als Einzelsubstanzen oder in Kombinationspräparaten entweder als Zusatz zu Tauchbädern oder zur Dekontamination mittels Sprühung verwendet. Insbesondere der Einsatz von Chlordioxid hat zu der umgangssprachlich gebrauchten Bezeichnung "Chlorhühnchen" für derartig behandelte Schlachtkörper geführt.
Sowohl die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) als auch das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) haben sich über eine mögliche Gesundheitsgefährdung durch den Verzehr von "Chlorhühnchen" im Hinblick auf chemische Rückstände oder Reaktionsprodukte geäußert. Beide Institute kommen zu der Einschätzung, dass nach derzeitigem Kenntnisstand keine Sicherheitsbedenken gegen den Einsatz der vier oben beschriebenen Substanzen bestehen. Ähnlich äußerte sich ein Expertengremium von FAO (Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen) und WHO (Weltgesundheitsorganisation) bereits im Jahr 2008. Ein Gesundheitsrisiko durch Rückstände oder Reaktionsprodukte konnte bei der Anwendung der gängigen chlorhaltigen Dekontaminationsmittel nicht identifiziert werden (WHO, 2008).
Trotz dieser Einschätzungen sind derzeit im Bereich der Geflügelfleischhygiene in der EU keine Dekontaminationsverfahren zugelassen. Nach den Vorgaben der Verordnung (EG) Nr. 853/2004 darf frisches Fleisch prinzipiell nur mit Trinkwasser zur Entfernung von Oberflächenverunreinigungen behandelt werden. Sofern andere Stoffe für eine solche Behandlung zum Einsatz kommen sollen, müssen diese gemeinschaftsrechtlich zugelassen werden. Eine solche Zulassung besteht in der EU derzeit nur für den Einsatz von Milchsäure zur Oberflächenbehandlung von Rindfleisch. Entsprechende Vorschläge der EU-Kommission, weitere Substanzen, wie z. B. Chlordioxid, für die Behandlung von frischem Fleisch zuzulassen, wurden bisher von den Mitgliedsstaaten abgelehnt.
Hintergrund dieser ablehnenden Haltung sind allerdings nicht Bedenken im Hinblick auf evtl. vorhandene chemische Rückstände auf oder in den Lebensmitteln, sondern u. a. folgende Argumente:
- Derzeit ist noch nicht abschließend geklärt, inwieweit der Einsatz derartiger Dekontaminationsmittel zu Resistenzbildung bei den betroffenen Mikroorganismen, insbesondere zur Ausbildung von Co-Resistenzen gegen antibiotisch wirksame Substanzen, führt. Dies sollte insbesondere bei pathogenen Mikroorganismen, wie z.B. Salmonella spp. und thermophilen Campylobacter spp., unbedingt vermieden werden.
- Eine chemische Dekontamination führt nicht zu einer vollständigen Keimfreiheit im Hinblick auf vorhandene Krankheitserreger, sondern ausschließlich zu einer Keimreduktion (je nach Dekontaminationsverfahren zwischen 0,5 und 2 log-Stufen).
- Chemische Dekontaminationsmittel führen nicht zu einer selektiven Abtötung von Krankheitserregern, sondern auch zu einer Keimreduktion bei der auf dem Fleisch natürlicherweise vorhandenen Begleitflora. Sofern bei weiteren Verarbeitungsschritten eine Rekontamination mit Krankheitserregern erfolgt, können diese sich aufgrund der fehlenden Konkurrenzflora ungehindert vermehren, so dass derartig rekontaminiertes Fleisch ein höheres Risiko für die menschliche Gesundheit darstellen kann als Fleisch, das keiner chemischen Dekontamination unterzogen wurde.
- Die chemische Dekontamination könnte als Ersatz für eine hygienisch einwandfreie Arbeitsweise "from stable to table" angesehen werden. Infolgedessen könnten zukünftig Bemühungen, Zoonosen, d.h. Krankheiten, die direkt und indirekt zwischen Mensch und Tier übertragen werden können, bereits in den Tierbeständen zu minieren, unterlassen werden.
Insofern ist derzeit noch nicht abschließend wissenschaftlich geklärt, inwieweit der Einsatz chemischer Dekontaminationsverfahren im Rahmen des gesundheitlichen Verbraucherschutzes sinnvoll erscheint oder ob nicht verstärkte Hygienemaßnahmen auf allen Stufen der Lebensmittelkette einen größeren Beitrag zur Erhöhung der Lebensmittelsicherheit leisten können. Einigkeit besteht aus wissenschaftlicher Sicht allerdings bereits jetzt darin, dass ein eventuell eingesetztes Dekontaminationsverfahren ganzheitliche Hygienekonzepte nicht ersetzen, sondern, unter bestimmten Bedingungen, lediglich ergänzen kann (BfR, 2014).
Links zur weiterführenden Literatur
- 12. BfR-Forum Verbraucherschutz: "Verbesserung der Hygiene von Lebensmitteln durch Dekontamination? - Standortbestimmung und Perspektiven" am 4. und 5. Juni 2012:
- BfR 2014. Chemische Dekontaminationsverfahren: Kein Ersatz für ganzheitliche Hygienekonzepte
- WHO. 2008. Benefits and risks of the use of chlorine-containing disinfectants in food production and food processing
- EFSA. 2011. Scientific opinion on Campylobacter in broiler meat production: control options and performance objectives and/or targets on different stages of the food chain