Eiweißverderb von Speisepilzen - Untersuchungsergebnisse 2006 - 2008

Immer wieder erscheinen Berichte, die nicht nur über Erkrankungen nach dem Verzehr von Giftpilzen, sondern auch nach dem Verzehr von verdorbenen Speisepilzen sprechen. Bei solchen Erkrankungen spricht man von "unechten Pilzvergiftungen". Hierbei kann es zu Krankheitssymptomen kommen wie zum Beispiel Schwindel, Völlegefühl, Schweißausbruch, Fieber, Bauchkolik, Gesichtsröte, Hitzegefühl, Kreislaufbeschwerden und Schüttelfrost.

In diesem Zusammenhang steht oft die Frage im Raum, ob die Abbauprodukte von Eiweiß, zu denen auch die als Leichengifte bekannten biogenen Amine Putrescin und Cadaverin gehören, ursächlich mit den Erkrankungen in Verbindung stehen. Aus laufenden Untersuchungen am LGL können zu dieser Fragestellung zwar keine abschließenden Antworten, trotzdem aber folgende Aussagen getroffen werden, die zu einem besseren Verständnis der Problematik beitragen:

In welchen Mengen sind biogene Amine in Speisepilzen zu erwarten?

Um einen Überblick zu erhalten, untersuchte das LGL seit 2006 circa 60 Proben von sowohl verzehrsfähigen als auch verdorbenen Speisepilzen aus verschiedenen Pilzfamilien auf biogene Amine hin. Die bislang erhaltenen Ergebnisse sind in Tabelle 1 dargestellt. In der Tabelle bedeutet die Angabe "nicht nachweisbar", dass keine Werte oberhalb der Nachweisgrenze von 10 mg/kg vorlagen. Weiter bedeutet die Angabe nur eines Wertes, dass auch nur eine Probe zur Verfügung stand. Wird ein Wertebereich angegeben, so waren mindestens vier bis maximal 14 Proben vorhanden. Als "Röhrlinge" wurden Rotfußröhrlinge, Maronen (Braunkappen), Goldröhrlinge und Sandröhrlinge untersucht.

Tabelle 1: Untersuchung von Pilzproben auf biogene Amine
Angaben in mg/kg;
Zustand Herkunft ver-wendete
Pilzteile
Putrescin Cadaverin weitere
biogene
Amine
Champignons ohne Mängel Einzelhandel bzw. Markt Alle Teile nicht nach-weisbar nicht nach-weisbar 96 bis 191
Champignons verbräunte Stiele, schwarzbraune Lamellen,
Druckstellen
Einzelhandel bzw. Markt Alle Teile nicht nach-weisbar nicht nach-weisbar 80 bis 167
Pfifferlinge ohne Mängel Einzelhandel bzw. Markt Alle Teile 3 bis 6 0 bis 18 28 bis 47
Pfifferlinge mit schmierig-fauligen Stellen Einzelhandel bzw. Markt Alle Teile 6 bis 70 17 bis 67 22 bis 40
Röhrling ohne Mängel gesammelt "Fleisch" 47 nicht nach-weisbar 84
Röhrling eingedrückt, matschig, faulig, madig gesammelt "Fleisch" 34 bis 210 0 bis 30 23 bis 161
Röhrling ohne Mängel gesammelt Röhren 19 nicht nach-weisbar 210
Röhrling madig, stark verfärbt, schimmlig gesammelt Röhren 0 bis 60 0 bis 23 10 bis 580
Steinpilze ohne Mängel Einzelhandel bzw. Markt Alle Teile 108 bis 201 35 bis 65 202 bis 377
Steinpilze alt, verfärbt, madig Einzelhandel bzw. Markt Alle Teile 157 bis 196 30 bis 55 170 bis 246

Tabelle 1 zeigt, dass die einzelnen Pilzarten sehr unterschiedliche Mengen an biogenen Aminen aufweisen. So können bei Röhrlingen (Rotfuß-, Maronenröhrling, Steinpilz) deutlich höhere Gehalte der bekannten biogenen Amine vorkommen, als bei Champignons oder Pfifferlingen. Besonders erstaunlich erscheint, dass in Steinpilzproben ohne Mängel fast die höchsten Werte der beiden Amine Putrescin und Cadaverin auftreten und zudem keine wesentlichen Unterschiede zu mit Mängeln behafteter Ware bestehen. Erklären könnte man dies damit, dass bei Steinpilzen, die sich ja schon durch ihren besonders würzigen Geschmack von den anderen Pilzen abheben, nach den Untersuchungen des LGL, deutlich höhere Gehalte an freien Aminosäuren - die ja den Geschmack ausmachen – gefunden wurden, als bei anderen Pilzen. Es ist allgemein bekannt, dass biogene Amine durch den Abbau freier Aminsäuren entstehen. Deshalb sind potenziell hier auch mehr biogene Amine zu erwarten.

In der Spalte "weitere biogene Amine" ist die Summe der nachweisbaren sonstigen bekannten Aminverbindungen angegeben. Die Werte sind insbesondere bei Röhrlingen sehr hoch. Die Erklärung dafür könnte sein, dass die in der Tabelle unter "weitere biogene Amine" zusammengefassten Stoffe vor allem in derjenigen Zellschicht der Pilze enthalten sind, die für die Fortpflanzung benötigt werden. Ein biogenes Amin ist hier das Spermidin, das dem Namen nach ja auch an Sperma erinnert. Dieser Stoff ist auch in der Röhrenschicht ganz junger Maronenröhrlinge enthalten und somit kein Zeichen für Verderb, sondern aus der Sicht des LGL der Tatsache geschuldet, dass die Fortpflanzung bei Röhrenpilzen anders funktioniert als bei anderen Pilzordnungen.

Außerdem wurden nur bei Röhrlingen unbekannte Amin-analoge Verbindungen nachgewiesen, deren Gehalt bei fortschreitendem Verderb in der Röhrenschicht deutlich zunahm, deren absolute Menge aber aufgrund fehlender Vergleichssubstanzen nicht in die Tabelle übernommen werden konnten. Dagegen war Histamin, das als toxikologisch bedeutendstes biogenes Amin gilt, in keiner Probe vorhanden.

Wie sind die nachgewiesenen Mengen zu bewerten?

Die in den untersuchten Pilzen nachgewiesenen biogenen Amine Putrescin und Cadaverin sind, bis auf die Steinpilzproben, mit steigender Konzentration als Indikator für den Verderb von Speisepilzen anzusehen. Insbesondere bei sensorischen Beschreibungen wie "eingedrückt, schmierig, matschig, faulig madig" ist mit erhöhten Werten zu rechnen.

Jedoch erscheint zumindest für häufig auf dem Markt angebotene Pilze wie Champignons und Pfifferlinge eine Verbindung zwischen der "Unechten Pilzvergiftung" und den nachgewiesenen Gehalten der bekannten biogenen Amine unwahrscheinlich. Dies gilt für solche Personengruppen, die auch traditionell gereifte Lebensmittel wie Käse (zum Beispiel Limburger, Emmentaler) oder Wurstwaren (wie zum Beispiel Salami) verzehren, denn die in diesen Lebensmitteln nachgewiesenen Mengen an biogenen Aminen liegen, wie das Diagramm 1 zeigt, zum Teil deutlich über den oben dargestellten Werten für Pilze.

Diagramm über den Vergleich des Eiweißabbaus in verschiedenen Lebensmitteln

Abbildung 1: Vergleich des Eiweißabbaus in verschiedenen Lebensmitteln

In Abbildung 1 sind beispielhafte und typische Werte von biogenen Aminen für einige Lebensmittel unter Einbeziehung der Gehalte an Histamin im Vergleich mit Pilzen angegeben. Erkrankungen durch Eiweißabbauprodukte treten insbesondere dann auf, wenn Histamin in Lebensmitteln freigesetzt wurde. Entsprechend den oben genannten Ergebnissen besteht diesbezüglich bei Pilzen keine Gefahr. Dagegen gibt es über die physiologische Wirkung der bei Röhrlingen in der Röhrenschicht nachgewiesenen Amin-analogen Verbindungen noch keine Erkenntnisse. Es besteht jedoch die Vermutung, dass die genannten Erkrankungen nicht allgemein beim Verzehr von verdorbenen Pilzen auftreten, sondern möglicherweise auf spezielle Unverträglichkeiten einzelner Personengruppen zurückzuführen sind, wie sie auch in der Literatur schon beschrieben wurden (L. Roth, H. Frank, K. Kormann: Giftpilze, Pilzgifte, Nikol Verlagsgesellschaft mbH & Co, KG, Hamburg 1990, Seiten 119-120).

Welche Schlussfolgerungen lassen sich ziehen?

Wenn man Speisepilze zubereitet, sollte man auf jeden Fall die allgemeinen Hygiene-Regeln in der Küche beachten. Schimmlige, faulige, madige und angefressene Stellen sind zu entfernen. Auch sollte man die für Röhrlinge bekannte Hygieneregel, bei alten Exemplaren die Röhrenschicht abzuschneiden, beachten. Außerdem gilt: Pilze sollte man gut kauen. Personen, die Speisepilzen gegenüber empfindlich reagieren, sollten auf deren Genuss verzichten.

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