Bedeutung der Blauzungenkrankheit und der Epizootischen Hämorrhagie bei Hirschen
Abstract
Sowohl das Virus der Blauzungenkrankheit als auch das Virus der Epizootischen Hämorrhagie der Hirsche können schwere Erkrankungen beim Nutztier verursachen und werden durch Gnitzen übertragen. Das LGL untersucht seit 2006 auf die Blauzungenkrankheit, die Infektion wurde in Bayern allerdings seit 2009 nicht mehr nachgewiesen. Es kommt jedoch immer wieder zu Ausbrüchen in Deutschland. Die Epizootische Hämorrhagie der Hirsche trat bisher noch nicht in Deutschland auf; das Virus hat sich aber seit seinem Erstnachweis in Europa im November 2022 vor allem auf der iberischen Halbinsel und bis Zentralfrankreich stark ausgebreitet. Die Untersuchung von Verdachtsfällen auf diese beiden Erreger hat daher eine große Bedeutung.
Hintergrund
Viren, die von Arthropoden (Gliederfüßer, z. B Insekten, wie Moskitos, Sandfliegen, aber auch Spinnentiere, wie Zecken) übertragen werden, werden auch Arboviren genannt. Sie gewinnen vor dem Hintergrund des Klimawandels, der das Überwintern dieser Vektoren erleichtert, zunehmend an Bedeutung. Zu diesen Arboviren gehören unter anderem das Bluetongue-Virus (BTV) und das Virus der Epizootischen Hämorrhagie der Hirsche (EHDV). Beide Erreger können den Menschen nicht infizieren, aber bei Haus- und Wildwiederkäuern schwere Erkrankungen verursachen. Aufgrund ihrer ähnlichen klinischen Symptome sind sowohl die Blauzungenkrankheit als auch die Epizootische Hämorrhagie der Hirsche wichtige Differentialdiagnosen zur Bovinen Virusdiarrhoe (BVD) und zur Maul- und Klauenseuche (MKS). Der Nachweis beider Erreger unterliegt der Anzeigepflicht.
Ergebnisse
Die Blauzungenkrankheit ist eine hauptsächlich akut verlaufende Viruserkrankung von Haus- und Wildwiederkäuern. Sie wird durch das Bluetongue-Virus, welches zum Genus Orbivirus der Familie Reoviridae gehört, verursacht und durch Gnitzen (blutsaugende Mücken) übertragen. Bislang sind 24 klassische und mindestens 12 atypische Serotypen bekannt. Schafe erkranken am schwersten und zeigen z. B. eine erhöhte Körpertemperatur, Entzündungen der Schleimhäute und Schwellungen der Zunge sowie Aborte, während bei Rindern, Ziegen, Neuweltkameliden und Wildwiederkäuern in Abhängigkeit vom infizierenden Serotyp keine oder auch nur wenig spezifische Symptome auftreten. Beim Rind werden häufig als einziges Symptom Aborte beobachtet; es können aber auch Entzündungen z. B. an den Zitzen und an den Schleimhäuten der Maulhöhle sowie Blasen am Kronsaum der Klauen beobachtet werden. Die namensgebende Blaufärbung der Zunge kommt nur sehr selten vor. Bei infizierten Tieren können über Wochen Viren im Blut vorkommen und damit zur Verbreitung der Erkrankung über Gnitzen beitragen.
Die Blauzungenkrankheit trat 2006 zum ersten Mal in Zentraleuropa sowie in Deutschland auf. Zunächst wurde nur der Serotyp BTV-8, später zudem der Serotyp BTV-6 gefunden. Von 2010 bis 2017 wurden keine Fälle in Deutschland nachgewiesen. Seit 2018 wurden dann immer wieder Fälle von BTV-8 detektiert. Im September 2023 traten in den Niederlanden und in Belgien, später dann auch in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen sowie in Großbritannien Ausbrüche mit dem Serotyp BTV-3 auf. In Europa wurde dieser Serotyp bisher nur 2017/2018 in Italien nachgewiesen. In Bayern wurde seit 2009 keine Infektion mit BTV nachgewiesen. Für Rinder gibt es in Deutschland zugelassene Impfstoffe, jedoch richten sich diese nur gegen bestimmte Serotypen. Die in Deutschland verwendeten BTV-4/BTV-8-Impfstoffe schützen nicht vor Infektionen mit BTV-3.
Bei der Epizootischen Hämorrhagie der Hirsche (EHD) handelt es sich ebenfalls um eine durch Gnitzen übertragene, virale Erkrankung bestimmter Hirscharten, es können aber auch Rinder infiziert werden. Auch das Virus, das diese Krankheit verursacht gehört wie das Bluetongue-Virus zur Familie der Reoviridae und ist mit dem BTV nahe verwandt; es werden acht Serotypen unterschieden. Das Krankheitsbild ist klinisch nicht von der Blauzungenkrankheit zu unterscheiden; auch hier können die wochenlang im Blut zirkulierenden Viren über blutsaugende Insekten verbreitet werden.
In Europa wird EHD seit November 2022 in Italien und Spanien bei Rindern nachgewiesen. Im Jahr 2023 verbreitete sich die Krankheit nach Portugal und Frankreich. Bisher wurde nur der Serotyp 8 gefunden. Einen in Europa zugelassenen Impfstoff gibt es derzeit nicht.
Zum Nachweis beider Infektionen finden vor allem zwei analytische Methoden Anwendung: Mittels molekularbiologischer Methoden (PCR) kann das Virusgenom nachgewiesen werden, hierbei werden alle relevanten Serotypen erfasst. Mit Hilfe serologischer Tests können Antikörper gegen diese Erreger nachgewiesen werden. Beim Nachweis von Antikörpern gegen BTV kann jedoch nicht zwischen geimpften und infizierten Tieren unterschieden werden. Deswegen muss bei einem positiven Antikörpertest auch mittels PCR auf das Virus untersucht sowie abgeklärt werden, ob das Tier geimpft wurde.
Bereits seit dem ersten Auftreten von BTV in Deutschland führt das LGL Untersuchungen durch. Im Jahr 2023 wurden in 22 von 4.366 Proben von Rindern Antikörper gegen BTV nachgewiesen; bei allen positiv getesteten Tieren handelte es sich um gegen BTV geimpfte Tiere. Zudem wurden in keiner der 18 Proben von sonstigen Wiederkäuern Antikörper nachgewiesen. Molekularbiologisch wurden im Jahr 2023 3.982 Proben von Rindern, 131 Proben von Schafen und Ziegen und 19 Proben von sonstigen Wiederkäuern ohne Nachweis von BTV untersucht.
Die Untersuchung auf EHDV wird derzeit am LGL etabliert. Ziel ist hier, dass auch dieser Erreger bei Auftreten von Infektionen sofort durch das LGL erkannt werden kann.
Fazit
Arboviren können durch ihre Vektoren über weite Strecken verbreitet werden. Im Zuge des Klimawandels ist davon auszugehen, dass sich die Bedingungen zur Erregerübertragung weiter verbessern. BTV kommt bereits seit 2006 in Zentraleuropa vor und wurde noch im gleichen Jahr in Deutschland nachgewiesen. Seitdem kommt es immer wieder zu Nachweisen. Die verschiedenen Serotypen können, wie man 2023 an den Fällen von BTV-3 sehen konnte, unerwartet auftauchen. EHD trat das erste Mal im November 2022 in Europa auf und konnte sich seitdem in weitere Länder ausbreiten. Es ist daher auch in Deutschland mit Fällen zu rechnen. In Bayern sind bisher weder Infektionen mit EHD noch mit BTV-3 aufgetreten.
Maßnahmen
Die Blauzungenkrankheit und die Epizootische Hämorrhagie der Hirsche sind innerhalb der Europäischen Union (EU) gelistete Tierseuchenund unterliegen einer Meldepflicht. Im Falle eines Ausbruchs sind Maßnahmen zu ergreifen, die eine Einschleppung bzw. Ausbreitung des Erregers verhindern. Da sowohl BTV als auch EHD durch Gnitzen übertragen werden und es jederzeit zu einem Eintrag infizierter Mücken nach Deutschland bzw. Bayern kommen kann, ist eine schnelle und zuverlässige Diagnostik wichtig. In Bayern wird der BTV-Freiheitsstatus über ein virologisches Monitoring regelmäßig überprüft, indem Blutproben von Rindern nach einem festgelegten Stichprobenplan molekularbiologisch auf BTV untersucht werden.