Pflanzliche Arzneimittel und ihre möglichen Risiken

Arzneimittel pflanzlichen Ursprungs (Phytopharmaka), und vor allem auch Nahrungsergänzungsmittel aus pflanzlichen Ausgangsstoffen, werden häufig pauschalisierend mit Slogans wie "rein pflanzlich", "wirkt sanft" und "ohne Nebenwirkungen" beworben. Auch auf unterschiedlichen Informationsplattformen der Anbieter dieser Mittel und in diversen Diskussionsforen des Internets wird weitläufig die Ansicht verbreitet, pflanzliche Präparate hätten nur positive Wirkungen und könnten anders als chemische Wirkstoffe keine negativen Nebenwirkungen auslösen.

Vergleich von chemisch-synthetischen Arzneistoffen und pflanzlichen Wirkstoffen

Chemisch synthetische Arzneimittel enthalten als Wirkstoff meist nur eine Substanz oder eine Kombination aus wenigen genau bekannten und charakterisierten chemischen Verbindungen. Bei pflanzlichen Arzneimitteln handelt es sich um pulverisierte Pflanzenteile oder Extrakte. Sie enthalten in den allermeisten Fällen eine Mischung aus einer Vielzahl von Verbindungen aus dem Primär- oder Sekundärstoffwechsel der Ausgangspflanze, die unter Umständen in ihren Mengenanteilen variieren können. Die verschiedenen Inhaltsstoffe können sich gegenseitig beeinflussen, die Wirkung der Einzelsubstanzen kann dabei verstärkt, ergänzt oder in ihrer Art modifiziert werden. Diese Effekte sind nicht immer positiv und erwünscht. Bei manchen Phytopharmaka können gerade deshalb völlig neue unerwartete Neben- oder Wechselwirkungen auftreten.
In jedem Fall wird die pharmakologische Wirkweise pflanzlicher Arzneimittel durch das Zusammenspiel mehrerer biologisch aktiver Inhaltsstoffe komplex und ist daher schwer zu beschreiben.

Wirksamkeit

Richtig ist, dass manche Krankheiten mit bestimmten sanft wirksamen Phytopharmaka ausreichend behandelt werden können. So sprechen etwa Menschen mit Erkältungskrankheiten und leichten Befindlichkeitsstörungen gut auf entsprechende pflanzliche Präparate an. Dass diese Mittel oft sanfter wirken und weniger Nebenwirkungen aufweisen, liegt jedoch nicht daran, dass es sich prinzipiell um pflanzliche Produkte handelt, sondern ist vielfach durch die Auswahl der Pflanzen bedingt. Bei solchen Phytopharmaka werden zumeist gezielt Heilpflanzen verwendet, die keine stark wirksamen Inhaltsstoffe aufweisen, weil diese zur Behandlung der beschriebenen Beschwerden nicht notwendig sind.

Neben- und Wechselwirkungen

Falsch ist in diesem Zusammenhang die Annahme, dass pflanzliche Präparate in jedem Fall sicher sind und dem Anwender nicht schaden können. Im Pflanzenreich sind stark wirksame Inhaltsstoffe weit verbreitet, die in isolierter Form als hochpotente Arzneistoffe Verwendung finden, beispielsweise das Morphin aus Schlafmohn, das Atropin der Tollkirsche oder die Herzglycoside aus Fingerhut und Maiglöckchen. Einige sehr starke Gifte, etwa das Aconitin des blauen Eisenhutes oder das Gift des gefleckten Schierlings, stammen ebenfalls aus dem Pflanzenreich. Tatsächlich liefern Pflanzeninhaltsstoffe in vielen Fällen die "Vorlage" für synthetische Wirkstoffe, deren Effekte oder Wirkdauer durch leichte Veränderungen der chemischen Struktur optimiert oder sogar verbessert wird.

Falsch ist auch die Aussage, dass pflanzliche Präparate keinerlei Nebenwirkungen haben. Bei einigen traditionell verwendeten Heilpflanzen oder auch neueren pflanzlichen Arzneimitteln wurden Nebenwirkungen festgestellt, die dazu führten, dass diese Pflanzen mittlerweile aus Sicherheitsgründen nicht mehr medizinisch verwendet werden. So führen etwa die in Beinwell, Pestwurz und Huflattich enthaltenen Pyrrolizidinalkaloide bei innerlicher Anwendung zu schweren Leberschäden und können krebsauslösend wirken. Das Beruhigungsmittel Kava Kava kann bei längerer Einnahme und hoher Dosierung ebenfalls starke Leberschäden bis zum Organversagen auslösen und darf deshalb in Deutschland nicht mehr vermarktet werden. Arnika, Kamille und Schafgarbe können bei manchen Menschen Allergien auslösen und sollten auch mit Vorsicht und nicht über längere Zeit verwendet werden. Erkältungssalben mit ätherischen Ölen können bei Kleinkindern lebensgefährliche Krämpfe der Luftwege auslösen.

Viele pflanzliche Präparate können – genau wie synthetische Arzneimittel - Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten zeigen. Zum Beispiel hemmen Ginkgoprodukte die Blutgerinnung und können die Wirkung blutverdünnender Arzneimittel wie ASS (Acetylsalicylsäure) und Marcumar verstärken. Diese Mittel sollten nicht zusammen eingenommen werden. Johanniskrautpräparate verstärken die Aktivität bestimmter Enzyme, die für den Abbau verschiedenster Arzneistoffe verantwortlich sind, und können so die Wirksamkeit von vielen Arzneimitteln verringern.

Exotische Kräuter und Pflanzen

Selbst für Fachleute schwierig zu beurteilen ist die stetig zunehmende Verwendung exotischer Pflanzen, zum Beispiel aus der Traditionellen Chinesischen Medizin oder der Ayurvedischen Medizin. Über viele dieser Pflanzen gibt es nur sehr wenig wissenschaftliche Arbeiten, und bei den meisten ist weitgehend unbekannt, welche Wirkstoffe sie enthalten. Somit ist es schwierig und in vielen Fällen unmöglich zu beurteilen, ob ihre Verwendung dem Verbraucher wirklich nützt oder sogar Schaden zufügen kann. Viele Informationen, die über die entsprechenden Kräuter im Internet verbreitet werden, sind unvollständig, wissenschaftlich nicht belegt oder sogar falsch.

Werden exotische Kräuter als Nahrungsergänzungsmittel angeboten, muss immer in Betracht gezogen werden, dass diese in dem Kulturkreis, aus dem sie stammen, historisch überwiegend für kurze Zeit als Arzneimittel zur Behandlung von Krankheiten verwendet wurden. Bei der täglichen Einnahme als Nahrungsergänzung können ganz neue und bisher unbekannte unerwünschte Wirkungen auftreten. Besonders sich langsam entwickelnde Spätschäden wie Organschäden oder Krebserkrankungen werden selten mit der längst vergangenen Einnahme solcher Präparate in Verbindung gebracht und fallen so Ärzten und Wissenschaftlern auch nur schwer auf.

Präparate aus dem Internet

Besondere Vorsicht ist geboten, wenn angeblich rein pflanzliche Nahrungsergänzungsmittel aus unkontrollierbaren Quellen im Internet bestellt werden. Viele Pflanzen können hohe Rückstände von Pflanzenschutzmitteln, Schwermetallen und anderen Umweltgiften enthalten. Bei einigen häufig verwendeten Kräutern gibt es zudem ähnlich aussehende verwandte Pflanzen, die aber zum Teil völlig andere Inhaltsstoffe enthalten und im ungünstigsten Fall den Anwender schwer schädigen können. Hier ist besondere Sorgfalt bei der Herstellung der Präparate notwendig. Apotheken sind für die Qualität und Unbedenklichkeit der von ihnen vertriebenen Kräuter und Arzneimittel verantwortlich und müssen diese durch eigene Prüfungen und/oder Zertifikate ihrer Lieferanten gewährleisten. Ob überhaupt und wieweit sich Anbieter, die günstige pflanzliche Präparate im Internet vertreiben, mit der Qualität ihrer Waren auseinandersetzen, kann nicht immer nachvollzogen werden.

Im Internet tauchen auch immer wieder Produkte auf, denen zur "Verbesserung" der Wirksamkeit nicht deklarierte, stark wirksame chemische Substanzen zugesetzt wurden.

Grundregeln zur Einnahme pflanzlicher Präparate

Aus den aufgeführen Gründen sollte man auch bei der Einnahme rein pflanzlicher Produkte immer einige Grundregeln beachten:

  • Auch pflanzliche Präparate können gefährliche Nebenwirkungen haben!
  • Auch wenn die Präparate als Nahrungsergänzungsmittel angeboten werden, können sie die Wirkung von Arzneimitteln positiv oder negativ beeinflussen. Daher sind für den behandelnden Arzt nicht nur Informationen zu allen aktuell eingenommenen Arzneimitteln relevant, sondern auch zu allen weiteren Produkten, die regelmäßig konsumiert werden.
  • Vorsicht ist geboten, wenn Präparate exotische Pflanzen enthalten. Auch wenn mit angeblichen wissenschaftlichen Studien geworben wird, ist es immer ratsam, vor der Einnahme solcher Präparate mit dem Arzt oder Apotheker zu sprechen.
  • Die Bestellung von Produkten aus nicht nachvollziehbaren Quellen des Internets ist immer mit Risiken verbunden, über die sich jdeder vor einer Bestellung bewusst sein sollte.
  • Phytopharmaka müssen – wie jedes synthetische Arzneimittel auch – den Anforderungen des Arzneimittelgesetzes hinsichtlich Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit entsprechen, um als Arzneimittel zugelassen zu werden. Bei zugelassenen Arzneimitteln mit pflanzlichen Wirkstoffen kann daher davon ausgegangen werden, dass diese unter Beachtung der Anwendungsinformationen im Beipackzettel unbedenklich eingenommen werden können.

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