Gesundheitliche Belastungen von Selbstständigen und Mitarbeitenden in Klein(st)unternehmen
Hintergrund
In Deutschland zählen 99,4 % aller Unternehmen zu den kleinen und mittleren Unternehmen (KMU). Sie generieren ein Drittel des gesamten Umsatzes und beschäftigen 55 % aller Mitarbeitenden (Statistisches Bundesamt 2020). Über 80 % der Beschäftigten in KMU arbeiten in Betrieben mit weniger als fünf Mitarbeitenden (Schwartz & Gerstenberger 2021).
Gerade auch kleinere Betriebe benötigen eine evidenzbasierte, qualitativ hochwertige betriebliche Gesundheitsförderung, um die Gesundheit der Beschäftigten in einer sich wandelnden Arbeitswelt mit einer älter werdenden Belegschaft, dem Fachkräftemangel, den Folgen der Globalisierung und einer zunehmenden Digitalisierung zu erhalten (Badura et al. 2014).
Anders als in größeren Unternehmen, fehlen Kleinstunternehmen, aber auch Selbstständigen und Freelancern jedoch häufig Ressourcen bzw. die strukturellen Voraussetzungen für die Einführung und Umsetzung einer betrieblichen Gesundheitsförderung.
Ergebnisse
Im internationalen Vergleich ist die Datenlage zur psychischen und physischen Gesundheit von Selbstständigen und KMU-Beschäftigten in Deutschland sehr dürftig und bisher nur sporadisch erforscht. Daher haben wir eine erste systematische internationale Literaturübersichtsarbeit zum Ausmaß der psychischen Krankheitslast bei Selbstständigen und Klein(st)unternehmen auf Bevölkerungsebene erstellt und 2021 im International Journal of Environmental Research und Public Health veröffentlicht (Willeke et al. 2021).
Wir konnten 26 methodisch gute bevölkerungsbasierte Studien nach umfassender Suche in großen internationalen medizinischen Literaturdatenbanken identifizieren und anschließend einer detaillierten Bewertung unterziehen. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die psychische Gesundheit von Selbstständigen und Mitarbeitenden in Klein(st)unternehmen im Vergleich zu Angestellten nicht per se schlechter oder besser bewertet werden kann, sondern die Studienpopulationen differenzierter betrachtet werden müssen.
In den längsten bevölkerungsbasierten Untersuchungen, zwei schwedischen Registerstudien, waren über den Zeitraum von 15 bzw. 25 Jahren Diagnosen psychischer Krankheiten bei Selbstständigen seltener als bei gewerblich Angestellten/Arbeitern („blue-collar employees“). Im Vergleich zu Büroangestellten („white-collar employees“) war das Risiko für diese Diagnosen bei Selbstständigen jedoch in der längsten Studie erhöht. In vielen Querschnittstudien deutete sich vor allem ein Zusammenhang zwischen Selbstständigkeit und Stress sowie selbst eingeschätzter reduzierter psychischer Gesundheit an. Jedoch wiesen gerade in neueren europäischen Studien Selbstständige eine bessere psychische Gesundheit auf als Büro- und gewerblich Angestellte (Willeke et al. 2021).
Die zweite systematische Literaturübersichtsarbeit befasste sich mit der körperlichen Gesundheit der Selbstständigen. Sie wurde kürzlich im interdisziplinären Fachjournal WORK: A Journal of Prevention, Assessment & Rehabilitation zur Veröffentlichung angenommen (Willeke et al. 2023). Nach Durchsuchen dreier großer internationaler medizinischer Literarturdatenbanken konnten wir 16 bevölkerungsbasierte Studien mit guter methodischer Qualität und Daten von insgesamt über 15 Millionen Studienteilnehmenden identifizieren. Große longitudinale Registerstudien aus Skandinavien zeigten, dass die Gesamtgruppe der Selbstständigen ein höheres Risiko für das Auftreten von Herz-Kreislaufkrankheiten und -Sterblichkeit hatten als Büroangestellte („white-collar employees“). Im Gegensatz dazu wiesen sie aber im Vergleich zu gewerblich Angestellten („blue-collar employees“) ein niedrigeres kardiovaskuläres Risiko auf. Für Muskelskeletterkrankungen, Atemwegs- und Krebserkrankungen gab es Hinweise aus Querschnittstudien, dass Selbstständige grundsätzlich häufiger betroffen waren als Büro- und gewerblich Angestellte (Willeke et al. 2023).
Ausblick
Aktuell untersuchen wir in einer dritten systematischen Übersichtsarbeit die Wirksamkeit von Interventionen zur Gesundheitsförderung bei Selbstständigen und Kleinunternehmen. Nach stringenter Anwendung internationaler Qualitätskriterien konnten letztlich nur wenige Studien in die finale Bewertung eingeschlossen werden. Die Präsentation der verschiedenen Interventionsmaßnahmen und Ergebnisse sowie ihre kritische Würdigung sollen voraussichtlich im Jahr 2023 in einem Peer-Review-Journal veröffentlicht werden. Die Erkenntnisse aus allen drei umfangreichen Literaturübersichtsarbeiten werden uns als Grundlage für zukünftige Projekte und Initiativen für Selbstständige und Klein(st)unternehmen dienen.
Literatur
- Badura B, Ducki A, Schröder H, Klose J, Meyer M (2014) Fehlzeiten-Report 2014: Erfolgreiche Unternehmen von morgen-gesunde Zukunft heute gestalten. Springer-Verlag.
- Schwartz M, Gerstenberger J (2021) KfW SME Panel 2021. SMEs have shown adaptability in the coronavirus crisis but cracks are appearing in the foundations of small businesses. (https://www.kfw.de/PDF/Download-Center/Konzernthemen/Research/PDF-Dokumente-KfW-Mittelstandspanel/PDF-Dateien-Mittelstandspanel-(EN)/KfW-SME-Panel-2021.pdf )
- Statistisches Bundesamt (Destatis) (2020) Kleine und mittlere Unternehmen (https://www.destatis.de/DE/Themen/Branchen-Unternehmen/Unternehmen/Kleine-Unternehmen-Mittlere-Unternehmen/aktuell-beschaeftigte.html)
- Willeke K, Janson P, Zink K, Stupp C, Kittel-Schneider S, Berghöfer A, Ewert T, King R, Heuschmann PU, Zapf A, Wildner M, Keil T (2021) Occurrence of Mental Illness and Mental Health Risks among the Self-Employed: A Systematic Review. International Journal of Environmental Research and Public Health 18.
- Willeke K, Janson P, Zink K, Tischer C, Heuschmann PU, Zapf A, Wildner M, Stupp C, Keil T (2023) Comparing the occurrence of chronic physical disorders in self-employed individuals with that of employees: A systematic review. Work Preprint: 1