Gesundheitliche Belastungen von pflegenden Angehörigen

Signet Jahresbericht 2021/22

Hintergrund

Die Anzahl der Menschen mit Pflegebedarf ist in Deutschland seit 1999 kontinuierlich angestiegen und hat sich seitdem auf 4,1 Millionen verdoppelt. Gut 80 % werden im häuslichen Umfeld versorgt. Häufig unterstützen ambulante Pflegedienste die pflegenden Angehörigen. Mehr als die Hälfte der Pflegebedürftigen (51,3 %) werden jedoch ausschließlich durch ihre Angehörigen versorgt (Statistisches Bundesamt 2020). Nach Angaben des Sozio-Oekonomischen Panels (SOEP 2019) übernehmen in Deutschland 5,3 Millionen Angehörige häusliche Pflege, 3 Millionen von ihnen sind zusätzlich berufstätig. Der Großteil dieser Angehörigen ist weiblich und befindet sich noch im erwerbstätigen Alter, sodass sich durch den Beruf eine Doppel- und mitunter durch Kinder im Haushalt eine Dreifachbelastung ergibt.

Ergebnisse

Die internationale Studienlage zu Gesundheitsauswirkungen durch informelle Pflege (Pflege durch Angehörige) ist nicht einheitlich und deutet sowohl auf positive, als auch negative Effekte hin. Wir haben daher die internationale Studienlage zur Sterblichkeit, sowie Inzidenzen und Prävalenzen von chronischen Erkrankungen und gesundheitsbezogenen Outcomes von pflegenden Angehörigen im Vergleich zu Nichtpflegenden im Rahmen einer systematischen Übersichtsarbeit bewertet und zusammengefasst. Nach einer umfassenden systematischen Literatursuche in drei internationalen medizinisch-pflegerischen Datenbanken (PubMed, CINAHL, Web of Science) wurden 5000 Studien identifiziert und gesichtet. Von diesen wurden nach zuvor festgelegten Kriterien insgesamt 22 relevante bevölkerungsbasierte Studien, davon 9 Langzeit- und 13 Querschnittanalysen, ausgewählt. Im Mai 2022 veröffentlichten wir die Ergebnisse im International Journal of Environmental Research und Public Health (Open Access; Janson et al. 2022a) und präsentierten diese im Herbst 2022 auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Sozialmedizin und Prävention (DGSMP; Janson et al. 2022b).
Innerhalb der Langzeitstudien wiesen pflegende Angehörige eine signifikant niedrigere Mortalität (Gesamtsterblichkeit) im Vergleich zu Nichtpflegenden auf. Dieses überraschende Ergebnis könnte neben anderen Gründen dadurch erklärt werden, dass gesündere Angehörige mehr Pflegeaufgaben übernehmen („healthy carer bias“). Bei den Querschnittanalysen fanden wir einen statistischen Zusammenhang zwischen der Pflege eines Angehörigen und einem häufigeren Auftreten von Depressionen und Angststörungen sowie reduzierter gesundheitsbezogener Lebensqualität. Die Studien unterschieden sich bezüglich. Dauer und Umfang der geleisteten Pflege, Erkrankung des Pflegebedürftigen, familiäre Beziehung (Ehepartner, Kinder, Freunde) und Alter der Studienteilnehmenden. Da die meisten Untersuchungen jedoch Querschnittstudien waren, lassen sich hier im Gegensatz zu Langzeitstudien (Janson et al., 2022a) keine Ursache-Wirkungs-Beziehungen ableiten.

Ausblick

In Zukunft werden bevölkerungsbasierte Langzeitstudien dringend benötigt, um Zusammenhänge zwischen der Pflege eines Angehörigen und negativen, aber auch möglichen positiven Wirkungen auf die Gesundheit der Betroffenen besser zu verstehen. Um schwere Belastungsstörungen, Depressionen und Angststörungen zu verhindern, müssen zielgerichtete Interventionsstrategien entwickelt und von Beginn an stringent evaluiert werden. Aktuell bewerten wir die Studienqualität und Wirksamkeit vorhandener und evaluierter präventiver und gesundheitsfördernder Programme für Pflegende Angehörige im deutschsprachigen Raum. Die Ergebnisse hierzu sollen in der zweiten Hälfte des Jahres 2023 veröffentlicht werden.

Literatur

  • Goebel J, Liebig S, Richter D, Schröder C, Schupp J, Wenzig K (2023) SOEP-Innovationssample (SOEP-IS), Daten der Jahre 1998-2019. SOEP Socio-Economic Panel Study.
  • Janson P, Willeke K, Zaibert L, Budnick A, Berghöfer A, Kittel-Schneider S, Heuschmann PU, Zapf A, Wildner M, Stupp C, Keil T (2022a) Mortality, Morbidity and Health-Related Outcomes in Informal Caregivers Compared to Non-Caregivers: A Systematic Review. International journal of environmental research and public health 19.
  • Janson P, Willeke K, Zaibert L, Budnick A, Berghöfer A, Kittel-Schneider S, Heuschmann PU, Zapf A, Wildner M, Stupp C, Keil T (2022b) Mortality, morbidity and health-related outcomes in informal caregivers compared to non-caregivers: a systematic review. In: Soziale Gesundheit neu denken: Herausforderungen für Sozialmedizin und medizinische Soziologie in der digitalen Spätmoderne – Gemeinsame Jahrestagung der DGSMP und der DGMS 754. Georg Thieme Verlag.
  • Statistisches Bundesamt (Destatis) (2020) Pflegestatistik. Pflege im Rahmen der Pflegeversicherung Deutschlandergebnisse 2019. https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Gesundheit/Pflege/Publikationen/Downloads-Pflege/pflege-deutschlandergebnisse-5224001199004.pdf;jsessionid=F575BC2A3B0FD844017B6269F6E49442.live722?__blob=publicationFile (24.08.2021).

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