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Quantitative Versorgungsforschung mit Sekundärdaten
Prof. Dr. Oliver Schöffski, MPH, Lehrstuhl für Gesundheitsmanagement, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU):
Überblick und Einordnung
Für eine ausreichende Evidenz in der Versorgungsforschung sind neben qualitativen Studien zur Hypothesengenerierung auch quantitative Studien von großer Bedeutung. Viele Studien können jedoch aus Mangel an Zeit oder fehlenden finanziellen Ressourcen nicht mit Hilfe von Primärdaten durchgeführt werden. In diesen Fällen wird auf die Nutzung sogenannter Sekundärdaten zurückgegriffen. Vorteilhaft sind die häufig schnellere Verfügbarkeit und die niedrigeren Kosten der Datenerhebung. Von großem Nachteil ist die Entfremdung der Daten, da diese in der Regel für einen anderen Zweck (oftmals ohne Forschungszielsetzung) erhoben werden. Sehr häufig werden Abrechnungsdaten als Sekundärdaten für die Versorgungsforschung herangezogen. Darüber hinaus können Sekundärdaten in einer hybriden Vorgehensweise auch mit Primärdaten ergänzt werden, um die Aussagekraft der Daten zu steigern. Sowohl prospektive als auch retrospektive Studienvorhaben sind mit Sekundärdaten realisierbar.
Abbildung 1: Sekundärdaten in der Versorgungsforschung
Datenquellen und Datenmanagement
Die Nutzung und Erschließung von Sekundärdatenquellen für die Versorgungsforschung ist keineswegs trivial. In der Regel gibt es bei den Datenquellen einen Trade-off zwischen Abdeckung aller Leistungssektoren im Gesundheitswesen und der Granularität der Daten. So können die Sekundärdaten von Arztpraxen neben den Abrechnungsdaten auch detaillierte medizinische Informationen (z.B. Laborbefunde oder Blutdruck) enthalten. Jedoch fehlen dabei sämtliche Informationen aus dem stationären Versorgungsgeschehen. Im anderen Extrem können die Daten einer Krankenversicherung einen sehr umfassenden Blick auf die sektorenübergreifenden Kosten liefern, enthalten dafür aber keinerlei detaillierte medizinische Informationen. Als Sekundärdatenquellen kommen verschiedenste Institutionen auf Mikro, Meso- und Makroebene in Frage. Institutionen der Mikroebene sind einzelne Leistungserbringer, wie beispielsweise Arztpraxen, Krankenhäuser oder Rehazentren. Auf der Mesoebene befinden sich Institutionen, die Informationen einzelner Leistungserbringer innerhalb eines oder mehrerer Sektoren regional oder auch überregional bündeln. Beispiele für die Mesoebene sind die Kassenärztlichen Vereinigungen, das InEK oder auch Versorgungsnetzwerke wie das „Gesunde Kinzigtal“. Zur Makroebene werden Institutionen gezählt, die überregional und sektorenübergreifend Informationen bündeln (z.B. Krankenversicherungen oder das Bundesversicherungsamt). In der nachfolgenden Tabelle sind Sekundärdatenquellen für die Versorgungsforschung aufgeführt.
Mikroebene
- Arztpraxen und medizinische Versorgungszentren
- Krankenhäuser
- Apotheken
- Rehabilitationszentren
Mesoebene
- Kassenärztliche Vereinigungen
- Apothekenrechenzentren
- Zentralinstitut der kassenärztlichen Versorgung (ZI)
- Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK)
- Spezialisierte Panels von Marktforschungsinstituten
- Versorgungsnetzwerke bzw. Arztnetze
Makroebene
- Bundesversicherungsamt
- Gesetzliche Krankenversicherungen
- Private Krankenversicherungen
- Träger der gesetzlichen Unfallversicherung
Beim Umgang mit Sekundärdaten ist die Aufbereitung, Bereinigung und Validierung der Daten häufig mit sehr großem Aufwand verbunden. Da üblicherweise keine Kontrolle über die Qualität der Datenerhebung zum Erhebungszeitpunkt erfolgen kann, muss eine Validierung und ggf. Bereinigung retrospektiv erfolgen. Eine effektive Aufbereitung der Daten, Datenhaltung und ggf. Zusammenführung mit Primärdaten und ergänzenden Stammdaten ist in vielen Fällen nur mit komplexen Datenmanagementsystemen (bspw. SQL-Server) möglich.
Forschungsschwerpunkte und besondere Kompetenzen unserer Institution
Am Lehrstuhl für Gesundheitsmanagement der Friedrich-Alexander-Universität (FAU) Erlangen-Nürnberg werden regelmäßig folgende Forschungsfragen adressiert: Die Kosten von Krankheiten und deren Therapien sowie die Kosten- und Nutzeneffekte durch organisatorische Maßnahmen (wie z.B. leistungsbezogene Vergütung, spezielle Versorgungsprogramme). Die Erkenntnisse aus der quantitativen Versorgungsforschung dienen dabei häufig als Grundlage für eine gesundheitsökonomische Evaluation.
Spezifische Kompetenzen des Lehrstuhls sind in diesem Zusammenhang die Verarbeitung und Aufbereitung von Daten aus Arztpraxen (xDT), Daten von Krankenhäusern nach den Vorgaben des §21 KHEntgG, strukturierten Qualitätsberichten der Krankenhäuser herausgegeben durch den G-BA (XML) und Datensätzen von Krankenkassen (TK, AOK, Knappschaft).
Neben der Verarbeitung und Aufbereitung besteht sehr viel Erfahrung in der Ergänzung der Sekundärdaten mit Stammdaten, der Verschmelzung von Primär- und Sekundärdaten sowie der Kombination verschiedener Sekundärdatensätze. Dazu kann auf eine umfangreiche Wissensdatenbank mit gängigen Codierungsstandards (ICD, OPS, ATC etc.) sowie Vergütungs- und Produktkatalogen zurückgegriffen (EBM, GOÄ, ABDA-PZN-Stamm, etc.) werden.
Die Validierung und die Analyse der Sekundärdaten mit etablierten statistischen Standardverfahren sowie mit modernsten Data-Mining-Werkzeugen (Bissantz Delta-Master und Microsoft BI-Studio) sind ein Forschungsschwerpunkt am Lehrstuhl zur Weiterentwicklung der Methoden der quantitativen Versorgungsforschung mit Sekundärdaten.