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Herausforderungen für die Versorgungsforschung am Institut für Allgemeinmedizin der Technischen Universität München (TUM)
Prof. Dr. med. Antonius Schneider, Institut für Allgemeinmedizin der Technischen Universität München, Klinikum rechts der Isar:
Die Versorgungsforschung ist ein heterogenes Forschungsfeld mit zahlreichen unterschiedlichen Aspekten, die von Fragestellungen zur Lebensqualität, Health Technology Assessment, Analysen von Routinedaten bis hin zu Auswirkungen von Vertragsgestaltungen, z.B. bei der Hausarztzentrierten Versorgung (HZV) reicht. Dementsprechend ist es eine Herausforderung, den Stand im Bereich Hausarztmedizin für Bayern umfassend zu skizzieren. Am besten fassbar wird das Thema unter Zuhilfenahme der Definition von Pfaff, der prägnant von der „letzten Meile“ des Gesundheitswesens als Gegenstand der Versorgungsforschung spricht. Darunter ist die „konkrete Kranken- und Gesundheitsversorgung in den Krankenhäusern, Arztpraxen und sonstigen Gesundheitseinrichtungen zu verstehen“ [1;2]. In diesem Kontext ist allgemeinmedizinische Forschung beinahe schon Versorgungsforschung „par excellence“, da sich die allgemeinmedizinischen Fragestellungen in der Regel unmittelbar daran orientieren, was „bei dem Patienten in der Praxis ankommt“.
In Bayern gehen die Initiativen zur Klärung von hausärztliche Forschungsfragen im Wesentlichen vom Lehrstuhl für Allgemeinmedizin der TU München, der im Juli 2009 als Stiftungslehrstuhl der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns und der AOK Bayern besetzt wurde, und dem Institut der Universität Erlangen, das im September 2013 inauguriert wurde, aus. Die zentralen Aspekte der Versorgungsforschung am Institut für Allgemeinmedizin der TU München bilden diagnostische Studien, Bestimmung der Bedeutung von psychischer Komorbidität für die hausärztliche Diagnostik und Versorgungssteuerung, geriatrische Aspekte der hausärztlichen Versorgung und die Beschreibung von hausärztlicher Versorgung und Steuerungsfunktion anhand von Routinedaten. Neben diesen patientenbezogenen Studien werden zudem Untersuchungen zur Erfassung von Haltungen und Motivationslagen des medizinischen Nachwuchses durchgeführt, um hierdurch Hinweise zu erhalten, wie dem drohenden Hausärztemangel begegnet werden könnte.
Der Blick auf die allgemeinmedizinische Versorgungsforschung in anderen Bundesländern zeigt, dass es in Bayern noch viel zu tun gibt, wenn die Versorgung für Bayern besser verstanden und gegebenenfalls optimiert werden soll. Eine spezifische Herausforderung ist das Nebeneinander von sehr großen Ballungsräumen mit hoher Arztdichte und sehr ländlichen Räumen wie Niederbayern oder Oberfranken. Denkbar ist, dass das Ausmaß an Versorgungsvariation zwischen Unter-, Über- und Fehlversorgung höher ist als in anderen Bundesländern. In diesem Zusammenhang müsste untersucht werden, wie die Organisation der haus- und landärztlichen Versorgung in Bayern verbessert werden kann. Beispielsweise müsste eine hausarztzentrierte Versorgung so umgesetzt werden, dass die Patienten profitieren, gleichzeitig aber auch die Arbeitsbedingungen so gestaltet werden können, dass der hausärztliche Beruf wieder für den Nachwuchs attraktiv wird. Hierzu gibt es bereits zahlreiche Ansätze, die jedoch in der Regel wenig vernetzt sind, wie z.B. Etablierung von hausärztlichen MVZ, Vergrößerung von Bereitschaftsdienstbezirken und Wiedereinführung von HZV-Verträgen. Insbesondere im Hinblick auf den letzteren Punkt wäre Begleitforschung dringend ratsam, um die Bedeutung dieser Versorgungsform besser einschätzen zu können.
Weitere wichtige Punkte betreffen die Versorgung einer immer älter werdenden Bevölkerung. Vor dem Hintergrund der daher zunehmenden Multimorbidität entstehen neue Herausforderungen wie z.B. die Entwicklung neuer Gesundheitsberufe, die unter anderem in eine Akademisierung der Pflege münden. Beispiele aus dem hausärztlichen Bereich sind unter anderem die höher qualifizierte Medizinische Fachangestellte VERAH?. Diesbezüglich gilt es, diese neuen Berufsbilder und Kooperationen nicht nur zu konzeptionieren, sondern auch durch Begleitforschung weiter zu entwickeln. Darüber hinaus müssen Konzepte realisiert werden, mit der die Kooperation zwischen Pflegeeinrichtungen und niedergelassenen Ärzten ausgebaut werden kann, da der Betreuungsbedarf und der medizinische Aufwand in den nächsten Jahren erheblich steigen wird – im Jahr 2030 kommen auf 100 Erwerbstätige im Alter von 20 bis 64 Jahren mehr als 50 Menschen über 65 Jahre, was die medizinische Versorgung vor gänzlich neue Aufgaben stellen wird [3].
Die Versorgungsforschung sollte auch in Bayern gestärkt werden, denn um die Möglichkeiten zur Optimierung der Versorgung abschätzen zu können, wäre es hilfreich, die aktuelle Versorgungssituation besser zu verstehen. Ein großes Potential hierfür ist auch durch die Analyse von Routinedaten gegeben. Diesbezügliche Herausforderungen stellen die Zugänglichkeit zu Daten und die reduzierten Möglichkeiten zur Verknüpfung von Datenbanken dar. Strenge Datenschutzauflagen machen eine Verknüpfung von Krankenkassendaten mit Daten der Kassenärztlichen Vereinigungen oder die Kombination mit direkten Patientenbefragungen praktisch unmöglich. Darüber hinaus werden diese sogenannten Sekundärdaten nicht für Forschungszwecke strukturiert in Datenbanken erfasst, sondern müssen unter großem Aufwand vor den Analysen aufbereitet werden. Einigermaßen strukturierte Datenbanken werden im Rahmen der Disease Management Programme vorgehalten, wobei die Validität der Dokumentation bei den Analysen kritisch berücksichtigt bzw. reflektiert werden muss. Dennoch bietet die Aufbereitung der Sekundärdaten zahlreiche Möglichkeiten, um das Verständnis zum Versorgungsgeschehen zu verbessern.
1 Pfaff H. Versorgungsforschung - Begriffsbestimmung, Gegenstand und Aufgaben. In: Pfaff H, Schrappe M, Lauterbach K, Engelmann U, Halber H, editors. Gesundheitsversorgung und Disease Management. Bern: Hans Huber; 2005.
2 Donner-Banzhoff N, Schrappe M, Lelgemann M. Studien zur Versorgungsforschung. Eine Hilfe zur kritischen Rezeption. Z Arztl Fortbild Qualitatssich 2007; 101: 463-71.
3 Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen. Sondergutachten 2009: Koordination und Integration - Gesundheitsversorgung in einer Gesellschaft des längeren Lebens. http://www.svr-gesundheit.de/index.php?id=14. Letzter Zugriff am 20.12.2013.