Infektionsgefährdung durch Einatmen von Legionellen-haltigem Aerosol
Was sind Legionellen
Legionellen (Legionella) sind im Wasser lebende gramnegative, nicht sporenbildende obligat aerobe Bakterien. Sie wachsen üblicherweise optimal bei Temperaturen zwischen 20 und 45 °C. Legionellen vermehren sich intrazellulär in Einzellern wie Amöben und menschlichen Makrophagen. In einer einzigen Amöbe können mehrere Hundert Legionellen vorkommen. Werden Legionellen von Amöben aufgenommen, kommt es zu einer Vermehrung der Bakterien in der Nahrungsvakuole der Amöben. Die später aus diesen Amöben wieder freigesetzten Legionellen können nach dieser Passage eine erhöhte Virulenz besitzen. Es konnte gezeigt werden, dass Acanthamöben auch lungengängige Vesikel freisetzen, die jeweils einige Hundert Legionellen enthalten und als infektiöse Dosis ausreichend sein können.
Da die in den Amöben verweilenden Bakterien vor Umwelteinflüssen aller Art (z. B. Desinfektionsmitteln, UV-Strahlung) besser geschützt sind, sind die Amöben wichtige Vektoren und auch Überlebenshilfen für die Legionellen in einem technischen, wasserführenden System. Auch in widerstandsfähigen Dauerformen von Amöben, den Zysten, zeigen Legionellen eine erhebliche Resistenz gegenüber physikalischen und chemischen Einflüssen.
Etwa 57 Legionellenarten mit 79 Serogruppen, die bisher beschrieben wurden, gelten als humanpathogen. Legionella pneumophila Serogruppe 1 ist epidemiologisch die wichtigste Art und Serogruppe. Sie ist für die Mehrheit (ca. 90 %) der menschlichen Erkrankungen in Amerika und Europa verantwortlich. In Australien und Neuseeland hingegen dominieren mit vergleichbarer Häufigkeit die Spezies Legionella pneumophila und Legionella longbeachae. Die humanpathogenen Legionellen sind nach der Technischen Regel für Biologische Arbeitsstoffe (TRBA 466), die den Stand der Technik, Arbeitsmedizin und Arbeitshygiene sowie sonstige gesicherte arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse bei Tätigkeiten mit biologischen Arbeitsstoffen wiedergeben in die Risikogruppe 2 eingestuft. Biologische Arbeitsstoffe der Risikogruppe 2 können nach Biostoffverordnung eine Krankheit beim Menschen hervorrufen und eine Gefahr für Beschäftige darstellen; eine Verbreitung des Stoffes in der Bevölkerung ist unwahrscheinlich; eine wirksame Vorbeugung oder Behandlung ist normalerweise möglich.
Infektionsgefährdung durch legionellenhaltige Aerosole
Grundsätzlich muss mit einer umweltbedingten Infektionsgefährdung immer dort gerechnet werden, wo entsprechend belastete Wassermengen in der Luft als Aerosole verteilt werden. In der natürlichen Umwelt sind Voraussetzungen für eine aerogene Übertragung und inhalative Aufnahme von Legionellen, die zu einer Legionelleninfektion führen, eher nicht gegeben. Zum Vorkommen von Legionellen in der Natur gibt es aber Hinweise, dass sich Kaltwasserbereiche durch extreme Wetterlagen verstärkt aufheizen, wodurch eine Legionellenvermehrung gefördert werden kann.
Potenzielle Infektionsquellen sind indes künstliche wasserführende Systeme wie Wasserversorgungsanlagen, offene Rückkühlwerke und Verdunstungsrückkühlanlagen sowie mit Legionella Longbeachea kontaminierte Komposterde. Eine direkte Übertragung der Legionellen von Mensch zu Mensch wurde bisher nicht nachgewiesen.
Insbesondere von Kühltürmen ausgehend, können Legionellen auch in lungengängigen Amöbenvesikeln die vergleichsweise resistent gegenüber physikalischen und chemischen Einflüssen sind, über mehrere Kilometer verfrachtet werden. Die großen Reichweiten scheinen an bestimmte seltene meteorologische Ausbreitungsbedingungen gebunden zu sein, z. B. an eine „low-level Inversion“, die die vertikale Durchmischung unterdrückt und den horizontalen Transport von Aerosolpartikeln begünstigt.
Für das Auftreten einer Legionelleninfektion ist nicht nur die Anzahl der in die unteren Atemwege eingebrachten frei lebenden Bakterien, sondern auch das Vorhandensein von Amöbenpartikeln entscheidend, da aus Amöben freigesetzte Legionellen eine gesteigerte Virulenz aufweisen. Die Bakterienzellen sind in diesem Stadium kleiner und besitzen auch Bewegungsorganellen (Geißeln), mit denen sie sich aktiv fortbewegen können. Die Strategie besteht darin, nach dem Verlassen der Wirtszelle einen neuen Wirt (menschliche Alveolärmakrophage) aufzusuchen. In dieser infektiösen Phase wirken Legionellen zytotoxisch und sind weitgehend unempfindlich gegenüber Antibiotika.
Die Mechanismen der Zytolyse der Wirtszelle und der Freisetzung der Legionellen sind im Detail nicht bekannt. Es wird angenommen, dass die physikalische und metabolische Belastung durch eine große Zahl an intrazellulären Bakterien ausreicht, um die Wirtszellen zu zerstören. Auch gibt es Hinweise, dass Legionella pneumophila Toxine produziert, die die Membranen der Wirtszellen zersetzen, um aus einer nährstoffarmen Vakuole mit hoher intrazellulärer Bakteriendichte zu entkommen.
Eine Infektion kann bereits durch wenige inhalierte legionellenhaltige Amoebenvesikel hervorgerufen werden. Die in Amöben, in Vesikeln bzw. in den widerstandsfähigen Dauerformen, den Amöbenzysten, enthaltenen Legionellen zu erfassen, ist derzeit mit den verfügbaren Standardanalysemethoden nicht möglich. Bedingt durch die routinemäßig durchgeführte Kultivierungsmethode besteht bei der Abschätzung einer infektiösen Dosis (Konzentration) eine weitere Problematik. Beim Nachweis von koloniebildenden Einheiten (KBE - Nachweis) bilden sowohl ein Einzelbakterium als auch eine Vielzahl an Bakterien, die aus einer Amöbe/Vesikel freigesetzt wurden, nur eine Kolonieeinheit.
Durch Legionellen hervorgerufen Erkrankungen und Prävalenz
Erkrankungen, die durch Legionellen hervorgerufen werden können, sind das Pontiacfieber und die Legionellen-Pneumonie (Legionärskrankheit). Beim Pontiac-Fieber ist nach einer Inkubationszeit von etwa 5 - 60 Stunden in den meisten Fällen mit grippeähnlichen Symptomen wie Abgeschlagenheit, Fieber, Myalgien, Husten, Kopf-, Glieder- und Thoraxschmerzen zu rechnen; diese klingen nach wenigen Tagen ohne medikamentöse Behandlung und ohne Folgeerscheinungen wieder ab. Es kommt nicht zu einer Pneumonie.
Bei der Legionellen-Pneumonie, die ebenfalls durch eine Legionelleninfektion nach 2 - 10 Tagen Inkubation ausgelöst wird, steht eine Lungenentzündung im Vordergrund des klinischen Befunds. Der Schweregrad der Erkrankung reicht von allgemeinem Unwohlsein, Glieder- und Kopfschmerzen, Reizhusten mit Fieber bis hin zu beatmungsbedürftigen Pneumonien mit Multiorganversagen. Prognostisch ist in Abhängigkeit von Alter, Grunderkrankungen und Einsatz einer adäquaten Therapie mit einer Letalität von 15 % bis 80 % zu rechnen. Zu den Risikopatienten gehören insbesondere ältere Personen; Männer erkranken zwei- bis dreimal so häufig wie Frauen.
Im Verlauf der demografischen Entwicklung nimmt der Anteil älterer Menschen in der Bevölkerung zu. So dürfte bis zum Jahr 2030 die Zahl der 65-Jährigen und Älteren um ein Drittel auf über 22 Millionen (29 % der Gesamtbevölkerung) ansteigen. Damit wird auch die Zahl behandlungsbedürftiger Personen zunehmen. Das Immunsystem dieses gegenüber der gesunden Normalbevölkerung abwehrgeschwächten Personenkreises wird tendenziell durch erforderliche medizinische, teils onkologische Behandlungen - u. a. mit zytostatischen Wirkstoffen auch im ambulanten Bereich - zusätzlich geschwächt. Es hat sich gezeigt, dass Patienten mit einer Immunsuppression, z. B. nach Organtransplantationen, bei malignen Tumorerkrankungen, nach Gabe von Arzneistoffen, die in der Behandlung von entzündlichen Erkrankungen Anwendung finden oder unter längeren Therapiezyklen mit Kortikosteroid ein deutlich erhöhtes Risiko haben, an einer Legionellose zu erkranken. Auch Diabetes mellitus gilt als ein Risikofaktor. Angesichts des demografischen Wandels ist zu erwarten, dass zunehmend solche Patienten und insbesondere ältere Männer im Falle einer Legionelleninfektion an der schweren Verlaufsform der Legionellose erkranken bzw. sterben werden.
Es gibt in Deutschland eine Meldepflicht für Legionellosen. In Deutschland werden jährlich ca. 600 Infektionen gemeldet. Allerdings rechnet das Robert-Koch-Institut mit einer hohen Dunkelziffer. Nach einer CAPNETZ-Hochrechnung (www.capnetz.de) sind bis zu 30.000 ambulant, also nicht im Krankenhaus erworbene Legionellen-Pneumonien in Deutschland pro Jahr zu erwarten. Damit sind 4 % der Lungenentzündungen in Deutschland, die nicht im Krankenhaus erworben wurden, auf eine Legionelleninfektion (mit bis zu 80 % auf Legionella pneumophila) zurückzuführen. Die Letalität wird auf ca. 10 % geschätzt, das heißt, es ist in Deutschland mit bis zu 2.000 Todesfällen pro Jahr zu rechnen.