Nitrofen

Was ist Nitrofen?

Nitrofen (chemische Bezeichnung: 2,4-Dichlorphenyl-4’-nitrophenylether oder 2,4-Dichlor-1-(4-nitrophenoxy)-benzol) ist ein Herbizid, d. h. ein Unkrautvernichtungsmittel, das als Wirkstoff verschiedener Pflanzenschutzmittel (Handelsnamen TOK, Trazalex, Trizilin) eingesetzt wurde. Die Substanz ist weitgehend stabil (auch gegen Säuren und Laugen) und kaum in Wasser, aber sehr gut in organischen Lösungsmitteln löslich.

Chemischer Aufbau von Nitrofen

Anwendung

Nitrofen gehört zur Gruppe der selektiven Kontakt-Herbizide, die vorwiegend in Vorauflaufanwendungen Einsatz finden, also vor dem Keimen der Kulturpflanze. Da für die Wirkung Lichteinstrahlung erforderlich ist, erfolgt keine Einarbeitung in den Boden. Nitrofen wirkt gegen Ungräser (besonders Windhalm und Ackerfuchsschwanz) in Sommer- und Wintergetreide, daneben gegen Gräser und breitblättrige Unkräuter in verschiedenen Gemüsearten.

Rechtliche Regelungen

  • 1980 lief die Vertriebszulassung für nitrofenhaltige Mittel in der Bundesrepublik Deutschland aus. 1988 folgte ein vollständiges Vertriebs- und Anwendungsverbot in der EG, das in Deutschland durch die Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung festgelegt ist. 1990 wurde das Anwendungsverbot auch für die neuen Bundesländer übernommen.
  • Für Nitrofenrückstände in Lebensmitteln galt die allgemeine Höchstmenge von 0,01 mg/kg Lebensmittel (§ 1 Abs. 4 Rückstands-Höchstmengen-Verordnung). Für Säuglings- und Kleinkindernahrung ist die Höchstmenge für Nitrofen auf 0,003 mg/kg festgelegt (§ 14 Abs. 1 Diät-Verordnung).

Wirkung auf Mensch und Umwelt

Das Konzentrat reizt Augen, Haut und Atemwege und kann bei längerem Kontakt zu Hautkrankheiten (Dermatitis) führen. Möglich sind Effekte auf Blut und Zentralnervensystem. Tierversuche an Ratten ergaben, dass Nitrofen in hohen Dosen Krebs auslösen kann. Auch eine Beeinträchtigung der Fortpflanzungsfähigkeit wurde im Tierversuch festgestellt. Für den Menschen wurde dieser Zusammenhang bisher nicht bestätigt. Trotzdem wurde Nitrofen in einigen Ländern aufgrund der vermuteten teratogenen (fruchtschädigenden) und mutagenen (erbgutschädigenden) Eigenschaften aus Vorsorgegründen vom Markt genommen.

Aufgrund seiner lipophilen (fettlöslichen) Eigenschaften sind Nitrofen-Rückstände immer im Körperfett lokalisiert. Bei Verfütterung von rückstandsbelasteten Futtermitteln kann der Stoff in das Fleisch von Rindern, Schweinen, Schafen und Geflügel übergehen. Auch Eier können betroffen sein, während Untersuchungen zeigten, dass ein Übergang von Nitrofen in Milch nur in sehr geringem Ausmaß stattfindet.

Der Nitrofen-Skandal

Der Nachweis von Nitrofen-Rückständen in Lebensmitteln löste im Mai 2002 den Nitrofen-Skandal aus. Im Vordergrund standen Fragen nach der Ursache der Rückstände, der möglichen Verbreitung von Nitrofen über die Futtermittel in tierische Lebensmittel und die denkbaren gesundheitlichen Auswirkungen auf die Verbraucher. Die als mangelhaft empfundene Informationspolitik einzelner Hersteller und Vermarkter, denen eine Lebensmittelkontamination bereits Anfang 2002 bekannt war, sorgte für zusätzlichen Diskussionsstoff.

Wie reagierte die Überwachung?

  • In einem Sonderprogramm, das unmittelbar nach Bekanntwwerden des Falles begann, untersuchte das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) innerhalb von acht Wochen über 600 Lebensmittelproben aus ökologischer und aus konventioneller Erzeugung. Parallel dazu wurden über 850 Proben Futtermittel kontrolliert, insbesondere auch aus den bayerischen Betrieben, die mit Bio-Gerste aus dem als Kontaminationsquelle festgestellten Lager in Malchin (Mecklenburg-Vorpommern) beliefert worden waren.
  • Die Daten bereits untersuchter älterer Lebens- und Futtermittelproben wurden erneut bearbeitet. Es ergaben sich jedoch keine Hinweise auf frühere Belastungen.
  • Im Herbst 2002 wurde ein umfangreiches bundesweites Nachsorge-Untersuchungsprogramm durchgeführt, um sicherzustellen, dass die im Handel befindliche Ware frei von Nitrofen-Rückständen ist.

Das damalige Bayerische Staatsministerium für Gesundheit, Ernährung und Verbraucherschutz und der Deutsche Verband Tiernahrung schlossen den sogenannten "Sicherheitspakt Futtermittel" ab. Dieser beinhaltet u. a. eine verstärkte Kontrolle von Futtermittel-Rohstoffen aus Drittländern auf Pflanzenschutzmittel, die in den Herkunftsländern eingesetzt werden, in Deutschland jedoch nicht mehr zugelassen oder verboten sind. Untersuchungen werden über das Schwerpunktlabor Futtermittel des LGL koordiniert.

Ergebnisse der Sonderuntersuchung 2002

In 94 % der am LGL im Rahmen der Sonderuntersuchung überprüften Lebensmittelproben war Nitrofen nicht nachweisbar (siehe Tabelle 1). Bei 1,8 % lagen die Rückstände über der zulässigen Höchstmenge von 0,01 mg/kg. Positivbefunde wurden ausschließlich in Bio-Produkten festgestellt, die aber nur von wenigen Erzeugerbetrieben stammten. Die systematische Kontrolle von Öko-Betrieben, die belastete Futtermittel aus Malchin verwendet hatten, ergab bei Rindfleisch und Milch ausschließlich negative Befunde – dagegen konnten bei Schweinen aus vier Betrieben Nitrofen-Rückstände nachgewiesen werden, die geringfügig über dem Grenzwert lagen.

Tabelle 1: Ergebnisse der Sonderuntersuchung 2002
Anzahl Proben Nitrofen
Lebensmittel Erzeugung Gesamt n.n. < 0,005 mg/kg 0,005–0,010 mg/kg > 0,010 mg/kg (HM)
Milch, -erzeugnisse ökologisch 21 21
konventionell 7 7
Eier, -erzeugnisse ökologisch 123 116 1 2 4
konventionell 49 49
Geflügelfleisch ökologisch 77 63 9 2 3
konventionell 67 67
Geflügelfleischerzeugnisse ökologisch 76 64 6 3 3
konventionell 31 31
anderes Fleisch ökologisch 64 58 2 2 2
konventionell 8 8
andere Fleischerzeugnisse ökologisch 24 24
konventionell 3 3
Babykost mit Fleisch ökologisch 46 45 1
konventionell 12 12
Pflanzliche Erzeugnisse, vor allem Getreide ökologisch 27 27
konventionell 9 9
Gesamt 644 604 19 9 12

Von den zahlreichen überprüften Futtermitteln enthielt nur eine Probe Bio-Gerste Nitrofen-Rückstände (Gehalt 0,38 mg/kg). Diese Probe stammte aus Malchin und war an einen bayerischen Mischfutterhersteller geliefert worden.

Nach dem Abklingen der Nitrofen-Krise wurde im Herbst 2002 ein umfangreiches bundesweites Nachsorge-Untersuchungsprogramm durchgeführt. Die in Bayern untersuchten Proben erwiesen sich dabei ausnahmslos als nicht mehr belastet. Aus dem gesamten Bundesgebiet wurde für die Monate Oktober bis Dezember nur eine positive Nitrofen-Probe gemeldet, deren Gehalt jedoch unter der Höchstmenge lag.

Derzeitige Situation

Obwohl die Nitrofen-Belastung offensichtlich ein punktuelles und temporäres Problem war, blieb die Untersuchung auf Nitrofen-Rückstände im Routinespektrum der Lebens- und Futtermittelüberwachung. Positive Befunde waren jedoch nicht mehr zu verzeichnen. Es ist deshalb davon auszugehen, dass durch die Ermittlung der Kontaminationsquelle und die schnelle Beseitigung der Ursache die Kontamination von Lebens- und Futtermitteln mit Nitrofen beendet wurde. Vorsorglich werden die Untersuchungen dennoch fortgeführt, auch im Rahmen von bundesweiten Untersuchungsprogrammen.

Quellen und weiterführende Informationen

W. Perkow, H. Ploss: Wirksubstanzen der Pflanzenschutz- und Schädlingsbekämpfungsmittel, 3. Auflage, Band 2, Paul Parey Buchverlag, 1999.

Hutson, D.H., Roberts, T.R. Herbicides: Progress in Pesticide Biochemistry and Toxicology Vol 6, John Wiley and Sons, 1987.

Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR): Materialien zur Bewertung von Nitrofen.

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