Neuer Produkttrend: Oral zu konsumierende Erzeugnisse in Portionsbeuteln

Signet Jahresbericht 2021/22

Hintergrund

Als neuer „Produkttrend“ werden seit Anfang des Jahres 2020 sogenannte Nikotinbeutel (s. Abbildung 1) auf dem deutschen Markt – vorrangig in Tabakgeschäften und Tankstellen - vertrieben, die als rauchfreie und unauffällige Alternative zu Zigaretten beworben werden. Bei Nikotinbeuteln, auch als „Nicotine Pouches“ oder „Nicopods“ bezeichnet, handelt es sich um Portionsbeutel aus Filterpapier (Größe ca. 3,5 cm, Breite ca. 1 cm), die neben Trägerstoffen auf Basis zerkleinerten Pflanzenmaterials (häufig Cellulose) und zugesetzten Aroma- und Geschmacksstoffen als wertgebenden Bestandteil Nikotin enthalten. Diese Portionsbeutel werden in den Mund genommen und unter die Oberlippe oder in die Wangentasche platziert und für längere Zeit (ca. 20-30 min) dort belassen. Durch den Kontakt mit dem Speichel werden Nikotin bzw. die eingesetzten Nikotinsalze und die weiteren speichellöslichen Bestandteile (z.B. Geschmacksstoffe) gelöst und gehen somit aus dem Zellstoffsäckchen in den Speichel über. Diese Substanzen werden zum Teil direkt über die Mundschleimhaut in den Körper aufgenommen, zum Teil werden die gelösten Substanzen aber auch mit dem Speichel geschluckt und somit über den Magendarmtrakt in den Blutkreislauf aufgenommen. Die Beutelchen an sich werden nicht geschluckt, sondern nach dem Konsum – ähnlich wie bei einem Kaugummi - wieder aus dem Mund genommen. Auf dem Markt werden die Nikotinbeutel in unterschiedlichen Nikotinstärken und Geschmacksrichtungen (z.B. „spearmint“ und „apple“) angeboten. Der Nikotingehalt der Pouches wird häufig mit einer begrifflichen Angabe zur Nikotinstärke (z.B. „medium“, „strong“, ultra strong“) oder durch eine nicht näher definierte Skala (z.B. Stärke 3 von 5) deklariert.

Der neue Produkttrend der „Pouches“ beschränkt sich jedoch nicht nur auf nikotinhaltige Produkte. Mittlerweile gibt es auch Portionsbeutel zum oralen Konsum auf dem Markt, die anstelle von Nikotin als wertgebende Inhaltsstoffe Cannabidiol (CBD), Koffein, Guarana oder verschiedene Vitamine enthalten.

Das neue an diesem „Produkttrend“ ist, dass kein kompletter Verzehr bzw. kein vollständiges Schlucken der Portionsbeutel und somit auch keine Aufnahme in den Magen stattfindet. Vielmehr gehen die wertgebenden löslichen Inhaltsstoffe in den Speichel über und werden zum Teil – je nach Verweildauer und Resorbierbarkeit - bereits durch die Mundschleimhaut resorbiert bzw. in gewissen Anteilen mit dem Speichel geschluckt. Die oral zu konsumierenden Portionsbeutel stellen somit eine neue Angebotsform dar, die man als Mischung aus Lutschbonbon und Kaugummi ansehen kann: Wie bei einem Lutschbonbon lösen sich auch aus den Portionsbeuteln wegen der langen Verweilzeit große Anteile der speichellöslichen Inhaltsstoffe und können somit teilweise über die Mundschleimhaut resorbiert werden bzw. werden mit dem sich ständig bildenden Speichel heruntergeschluckt. Wie bei einem Kaugummi wird die quasi unlösliche „Trägermasse“, d.h. die unlösliche Kaumasse im Falle von Kaugummi bzw. der Portionsbeutel mit den unlöslichen Bestandteilen (Pflanzenfasern, Cellulose) wieder ausgespuckt. Der Reiz und die Attraktivität dieses neuen Produkttrends liegen vor allem darin, dass die Produkte jederzeit, wenn eine anregende oder wachmachende Wirkung (z.B. durch Nikotin, Coffein, Guarana) bzw. ein Vitaminkick gewünscht sind, unauffällig (d.h. für andere nicht sichtbar) konsumiert werden können, z.B. während sportlicher Aktivitäten oder während Prüfungen.

Rechtliche Einstufung

Wie bei jeder neuen Produktentwicklung stellt sich primär die Frage nach der rechtlichen Einstufung. Da die ersten auf dem Markt befindlichen Erzeugnisse Nikotin, einen für Lebensmittel bislang untypischen Stoff, enthielten, schien eine Einordnung in das Tabakrecht naheliegend. Nikotinbeutel enthalten zwar Nikotin, einen der wesentlichen Inhaltsstoffe von Tabak, jedoch keinen Tabak selbst und diese Produkte werden oral konsumiert und nicht geraucht. Daher unterliegen diese Erzeugnisse - im Gegensatz zum tabakhaltigem, in Deutschland verbotenem „Snus“ (für nähere Informationen hierzu siehe auch den Artikel „Tabak zum oralen Gebrauch – Snus & Co. auf der Spur“) - nicht den tabakrechtlichen Vorgaben.

Da Nikotinbeutel oral von Menschen konsumiert werden, werden die in den Nikotinbeuteln enthaltenen Inhaltsstoffe bestimmungsgemäß durch den Menschen aufgenommen. Das LGL hat diese Produkte somit als Lebensmittel i.S. der Lebensmittel-Basis-Verordnung (VO (EG) Nr. 178/2002) eingestuft. Auch die Sachverständigen der anderen Bundesländer sind der Auffassung, dass es sich bei derartigen Produkten um Lebensmittel handelt, da die Art und Weise des Konsums bzw. der Aufnahme dem eines Lebensmittels entspricht. Inzwischen liegen zur rechtlichen Einstufung von Nikotinbeuteln als Lebensmittel bereits zahlreiche verwaltungsgerichtliche Beschlüsse bzw. Urteile vor. Alle deutschen Gerichte kamen bisher übereinstimmend zu dem Ergebnis, dass es sich bei Nikotinbeuteln um Lebensmittel handelt, die somit die Grundsätze und Anforderungen des europäischen Lebensmittelrechts erfüllen müssen. Auch das Aufkommen von Nahrungsergänzungsmitteln in dieser neuen Angebotsform und von Portionsbeutelprodukten mit typischen Lebensmittelinhaltsstoffen (Coffein, Vitamine) bestätigt die Einstufung von Produkten in dieser neuen Angebotsform als Lebensmittel.

Untersuchungsergebnisse

In den Jahren 2020-2022 wurden dem LGL von den bayerischen Lebensmittel-überwachungsbehörden insgesamt 26 Nikotinbeutel mit unterschiedlichen Geschmacks-richtungen und Nikotinstärken zur Begutachtung vorgelegt. Da laut Deklaration in den Proben jeweils Nikotin enthalten war, wurde in sämtlichen Proben der Nikotingehalt analytisch bestimmt. Die gemessenen Nikotingehalte der untersuchten Proben reichten von 2,2 mg bis 56 mg Nikotin pro Beutel, wobei die Portionsbeutel ein Gewicht zwischen 0,4 g und 0,8 g aufwiesen (siehe Abb. 2). Der Mittelwert aller untersuchten Proben betrug 12,2 mg Nikotin pro Portionsbeutel.

Die Abbildung zeigt ein Säulendiagramm der Nikotingehalte in mg pro Portionsbeutel der in den Jahren 2020-2022 vom LGL untersuchten Nikotinbeutel-Proben. Auf der x-Achse sind die 26 untersuchten Proben dargestellt und die y-Achse gibt den jeweiligen analytisch bestimmten Nikotingehalt in mg pro Portionsbeutel an. Die Proben mit dem niedrigsten Nikotingehalt sind auf der linken Seite angegeben, wobei die Nikotingehalte der Proben nach rechts jeweils zunehmen. Die Nikotingehalte der untersuchten Proben reichen von 2,2 mg bis 56 mg Nikotin pro Portionsbeutel.Bild vergrössern

Abbildung 2: Nikotingehalte in mg pro Portionsbeutel der in den Jahren 2020-2022 vom LGL untersuchten 26 Nikotinbeutel-Proben.

Hinsichtlich möglicher Risiken für die Gesundheit beim oralen Konsum dieser Produkte erfolgte anschließend eine toxikologische Risikobewertung der ermittelten Nikotin-Gehalte. Die toxikologische Bewertung hat ergeben, dass die in den Proben jeweils enthaltene Nikotinmenge, die beim Konsum der Nikotinbeutel vom Menschen aufgenommen wird, mit einer gesundheitsschädlichen Wirkung verbunden ist. Alle 26 vom LGL begutachteten Proben wurden daher nach toxikologischer Bewertung aufgrund ihres Nikotingehaltes als gesundheitsschädlich und damit als nicht sicheres Lebensmittel i.S. des europäischen Lebensmittelrechts (Art. 14 Abs. 2 Buchst. a VO (EG) Nr. 178/2002) beurteilt. Diese Produkte waren somit nicht verkehrsfähig und wurden vom Markt genommen. Des Weiteren wurde das in den Proben enthaltene Nikotin als nicht zugelassene neuartige Lebensmittelzutat i.S. der EU-Novel Food-Verordnung (VO (EU) 2015/2283) beurteilt.
Das LGL hat in den Jahren 2020-2022 auch 8 nikotinfreie Produkte dieser neuen Lebensmittelangebotsform begutachtet. Zwei Portionsbeutel-Produkte enthielten jeweils als Zutat einen CBD-Extrakt. Da es sich bei dieser Zutat ebenfalls um ein nicht zugelassenes neuartiges Lebensmittel i.S. der EU-Novel-Food-Verordnung handelte, waren diese Produkte nicht verkehrsfähig. Drei weitere Portionsbeutelprodukte wurden aufgrund verschiedener Kennzeichnungsmängel (z.B. fehlende Bezeichnung des Lebensmittels) beanstandet. Außerdem hat das LGL bei drei Produkten, die jeweils Coffein und Vitamine enthielten und als Nahrungsergänzungsmittel in den Verkehr gebracht wurden, Verstöße gegen die europäische Verordnung über gesundheitsbezogene Angaben (VO (EG) Nr. 1924/2006) und gegen weitere Kennzeichnungsvorgaben festgestellt. Somit wurden bei allen untersuchten nikotinfreien Portionsbeutel-Produkten Verstöße gegen das Lebensmittelrecht festgestellt.

Fazit

Das LGL hat im Untersuchungszeitraum der Jahre 2020-2022 alle 26 zur Begutachtung vorgelegten Nikotinbeutel-Produkte als nicht verkehrsfähige Lebensmittel eingestuft, da einerseits die enthaltene Nikotinmenge bei der Aufnahme durch den Menschen gesundheitsschädlich ist und andererseits für das enthaltene Nikotin keine Zulassung als neuartiges Lebensmittel vorliegt. Auch bei allen acht untersuchten nikotinfreien Portionsbeutel-Produkten stellte das LGL Verstöße gegen das Lebensmittelrecht fest. Das LGL wird auch weiterhin im Sinne des Verbraucherschutzes diese neue Lebensmittelangebotsform unter die Lupe nehmen.

Mehr zu diesem Thema

Allgemeine Informationen zum Thema

Jahresbericht 2021/2022