Theorie und Praxis von Gesundheitsnetzwerken

Prof. Dr. Günther E. Braun, Forschungszentrum für Management im Gesundheitswesen im Institut für Management öffentlicher Aufgaben an der Fakultät für Wirtschafts- und Organisationswissenschaften, Universität der Bundeswehr München:

Schon seit Jahren beschäftigen wir uns mit einer Analyse von Netzwerken im Gesundheitswesen. Dabei dominiert eine versorgungsforschungsbezogene Sicht, die sich implizit an dem von Pfaff in die Wissenschaftsszene eingeführten Input-Throughput-Output-Outcome-Schema orientiert. Unsere Perspektive ist der organisationsbezogenen, besonders betriebswirtschaftlich akzentuierten Versorgungsforschung zuzurechnen. Gleichwohl herrscht eine interdisziplinäre Aufgabenstellung vor. Gesundheitsnetzwerke zielen auf eine Überwindung der sektoralen Grenzen im Gesundheitswesen und tragen zu einer Ausrichtung an der Wertschöpfungskette der Versicherten und Patienten bei. Sie sind moderne Kooperationsformen zwischen Leistungserbringern im Gesundheitswesen, die zwar i.d.R. weiterhin rechtlich selbstständig bleiben können (aber nicht müssen), jedoch ihre wirtschaftliche Selbstständigkeit in den integrierten Bereichen aufgeben, um die Effektivität und Effizienz ihres Handelns zu steigern. Teilweise beteiligen sich auch (gesetzliche) Krankenversicherungen an ihnen. Gesundheits-netzwerke sind als sog. hybride Organisationen zu begreifen, die Elemente verschiedener Organisationsformen aufnehmen, z. B. aus hierarchischen und marktlichen Strukturen schöpfen und durch das kooperative Handeln zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit aller Beteiligten beitragen. Ihr Potenzial schöpfen Netzwerke insb. dann aus, wenn es um die Versorgung chronisch kranker Patienten geht oder solcher Patienten, die von diversen Versorgungseinrichtungen betreut werden. Wir unterscheiden polyzentrische von fokalen Netzwerken. Bei ersteren sind in etwa gleich starke Kooperationspartner in einem Netzwerk verbunden, z.B. in einem Praxisnetz ambulant tätiger Ärzte. Ein fokales Netz wird dagegen von einem Mitglied dominiert, z.B. in einem krankenhausorientierten regionalen Netz. Gesundheitsnetze stellen eine unerlässliche organisatorische Basis von innovativen sozialrechtlichen Handlungsformen dar, z.B. der integrierten Versorgung (§§ 104aff. SGB V), der hausärztlichen und fachärztlichen Versorgung (§§ 73b und c SGBV).

Mit Hilfe von Gesundheitsnetzwerken können Kosteneinsparpotentiale wahrgenommen werden als klassische Kosteneinsparungen bei betrieblichen Produktionsfaktoren und darüber hinaus bei nahezu allen Kostenarten der gesetzlichen Krankenversicherungen (z.B. durch geringere Einweisungen und Selbsteinweisungen in Kliniken und Rückgänge bei veranlassten Leistungen). Gleichzeitig steigen durch eine Vernetzung neben der Effizienz die Effektivität der medizinischen Leistungserbringung und damit die Qualität. Zur Sicherstellung von Effektivität und Effizienz bedarf es eines stabilen Gesundheitsnetzwerks. Da solche Netzwerke im deutschen Gesundheitswesen trotz einiger Leuchtturmprojekte erst im Aufbau begriffen sind, ist eine Analyse der Erfolgs- und Misserfolgsbedingungen solcher Netzwerke unter Berücksichtigung eines praktisch-normativen Erkenntnisinteresses unerlässlich. Denn Risiko und Unsicherheit bei der Gründung und im laufenden Betrieb sind für Gesundheitsnetzwerke aufgrund der Systembedingung des Gesundheitswesens besonders hoch. Es geht deshalb darum, die Fragilität solcher Netzwerke abzubauen. Die Schaffung eines „Mindestmaßes an sozialer Organisiertheit und Verbindlichkeit“ ist zweifellos die zentrale Aufgabe von Gesundheitsnetzwerken und überlebensnotwendig, damit Netzwerke entstehen und im Echtzeitbetrieb nicht zerfallen. Diese aktuellen Fragestellungen aufzugreifen, Bezugsrahmen für die Konzeptualisierung von Netzwerken zu entwickeln, theoretische Analysen voranzutreiben, Gestaltungsvorschläge zu erarbeiten und Evaluationen konkreter Netzwerke auf den Weg zu bringen, sind zentrale Aufgabenbereiche einer netzwerkorientierten Versorgungsforschung.

Projekt

Evaluation von Gesundheitsnetzwerken