Gesundheitliche Bewertung des Passivrauchens

Rauchverhalten

Unter den psychoaktiven Substanzen hat die Reduzierung des Tabakkonsums in Deutschland die höchste gesundheitspolitische Priorität. Allein etwa 110.000 bis 140.000 Todesfälle pro Jahr stehen mit den Folgen des Tabakkonsums in Zusammenhang [RKI 2006]. Darüber hinaus leiden nochmals deutlich mehr an dieser Sucht. Im Mikrozensus 2005 gaben 32 % der Männer und 22 % der Frauen (Erwachsene ab 15 Jahren) an zu rauchen [LGL 2007]. Nach Daten des Telefonischen Gesundheitssurveys 2003 des Robert Koch-Instituts rauchen derzeit rund 37 % der Männer und 28 % der Frauen (Erwachsene ab 18 Jahre) [Lampert & Burger 2004].

Weitere Informationen zu den Rauchgewohnheiten in Deutschland: Robert Koch-Institut

Unter Jugendlichen im Alter zwischen 12 und 19 Jahren lag die Raucherquote im Jahr 2005 bei Mädchen bei 25 % und bei Jungen bei 27 % [BZgA 2006]. Der Kinder- und Jugendgesundheitssurveys (KiGGS) 2003-2006 ergab bei Jugendlichen im Alter von 11 bis 17 Jahren eine Raucherquote von 20 % bei Mädchen und 21 % bei Jungen [Lampert et al. 2008].

Daten des KiGGS 2003-2006 zufolge rauchten rund 18 % der Mütter in der Schwangerschaft [Bergmann et al. 2007]. Für Deutschland wird angenommen, dass durch den aktiven Tabakkonsum der werdenden Mutter jährlich über 150.000 Neugeborene bereits im Mutterleib Schadstoffen des Zigarettenrauchs ausgesetzt sind [DKFZ 2003].

Nach repräsentativen Untersuchungen waren 1998 ca. 55 % der Nichtraucher dem Passivrauch ausgesetzt (20 % an Arbeitsplätzen, 13 % zu Hause und 43 % an anderen Orten). Auf Basis älterer Daten aus Deutschland wurde geschätzt, dass 60 % der unter sechs Jahre alten Kinder von 25 – 29-jährigen Eltern und 66 % aller 6 - 13-jährigen Kinder in -Raucherhaushalten leben [DKFZ 2003]. Aktuelle Ergebnisse der Gesundheits-Monitoring-Einheiten in Bayern zeigen, dass 32 % der Kinder im Alter von 5-7 Jahren in Haushalten leben, in denen überhaupt geraucht wird und 18 % der Kinder in Haushalten, in denen täglich geraucht wird [Bolte & Fromme 2008]. Nach Daten des KiGGS 2003-2006 sind 24 % der weiblichen und 27 % der männlichen nichtrauchenden Jugendliche im Alter von 11-17 Jahren täglich Passivrauchbelastung ausgesetzt [Lampert et al. 2008].

Was ist Passivrauch?

Tabakrauch ist der mit Abstand bedeutendste und gefährlichste vermeidbare Innenraumschadstoff. Unter Passivrauchen (ETS, environmental tobacco smoke) wird die Aufnahme von tabaktypischen Schadstoffen des Haupt- und Nebenstromrauches verstanden, die sich in der Raumluft befinden. Passivrauch setzt sich somit aus dem Nebenstromrauch, der durch das Glimmen der Zigarette zwischen den Zügen am Glutkegel der Zigarette freigesetzt wird, und dem Anteil des Hauptstromrauches, der von Rauchenden eingeatmet wird, zusammen (siehe Abbildung 1). Der Hauptstromrauch wird durch das Ziehen an der Zigarette unmittelbar von Rauchenden aufgenommen und trägt wesentlich zur Belastung des aktiv Rauchenden mit gesundheitlich relevanten Substanzen bei.

Schema einer Zigarette

Abbildung 1: Schema einer brennenden Zigarette (nach [Lüth 2003])

Beim Tabakrauch in der Raumluft handelt es sich um ein sehr komplexes Gemisch von einigen tausend, häufig toxischen oder Krebs erregenden Substanzen, von denen derzeit ca. 400 quantifiziert werden können [ARB 1998, WHO 1999]. Bei der Verbrennung beziehungsweise Pyrolyse des Tabaks sind die Substanzen im Haupt- und Nebenstromrauch qualitativ identisch, die quantitative Zusammensetzung unterscheidet sich jedoch wesentlich aufgrund der unterschiedlichen Verbrennungstemperatur (siehe Tabelle 1).

Tabelle 1: Ausgewählte toxische und kanzerogene Substanzen in tabakrauchverunreinigter Innenraumluft
Substanz Verhältnis Konzentration im Nebenstromrauch / Konzentration im Hauptstromrauch
Kohlenmonoxid 3-5
Stickoxide 4-10
Ammoniak 40-170
Formaldehyd 1-50
Phenol 2-3
Acrolein 8-15
Chinolin 8-15
Benzol 10
Hydrazin 3
Benz[a]pyren 3-4
2-Toluidin 19
2-Naphthylamin 30
4-Aminodiphenolq 31
N-Nitrosodimethylamin 20-100
N-Nitrosopyrrolidin 6-30
Cadmium 7
Nickel 13-30
Polonium-210 1-4

[Quelle: DKFZ 2003]

Im Hauptstrom einer Zigarette muss mit Emissionen von ca. 12-48 µg Benzol, 5-78 ng Benzo(a)pyren und 15-40 mg Gesamtstaub gerechnet werden [IARC 1986]. Im Nebenstromrauch liegen im Vergleich zum Hauptstromrauch ca. um den Faktor 10 (Benzol), 3 - 10 (Benzo(a)pyren) bzw. 1,6 (Partikel) höhere Mengen pro Zigarette vor [IARC 1986, Grimmer et al. 1987, Brunnemann et al. 1990].

Bei den Partikeln ist auch eine unterschiedliche Größenverteilung zu beobachten. Während sich der aerodynamische Partikeldurchmesser im Hauptstrom zwischen 0,35 bis 0,4 µm bewegt, werden mit dem Nebenrauch besonders feine Partikel von nur 0,15 bis 0,25 µm an die Raumluft abgegeben [Scherer und Adlkofer 1999]. Auf der Basis des Vorgenannten muss mit hohen Innenraumluftbelastungen von gesundheitlich problematischen gasförmigen und partikulären Bestandteilen des Tabakrauchs gerechnet werden, die sich lange in der Raumluft halten und ein beständiges Inhalationsrisiko darstellen.

Gesundheitliche Wirkungen des Passivrauchens

Die gesundheitlichen Wirkungen des Passivrauchens sind mittlerweile eindeutig belegt und wurden umfangreich beschrieben [IARC 2004, U.S. Department of Health and Human Services 2006]. Insbesondere aufgrund der Ergebnisse epidemiologischer Studien wurde das Passivrauchen von der MAK-Kommission (legt Grenzwerte am Arbeitsplatz fest) 1998 als krebserzeugend eingestuft. Auch die Krebsforschungseinrichtung der Weltgesundheitsorganisation (IARC, International Agency for Research on Cancer), die amerikanische Umweltschutzbehörde und viele andere nationale und internationale Behörden und Institutionen haben das Passivrauchen als krebserregend für den Menschen eingestuft.

Bei Kindern, die Tabakrauch ausgesetzt sind, treten häufiger Asthma, Lungenentzündung, Bronchitis und Mittelohrentzündung auf. Darüber hinaus ist das Risiko für Fehlbildungen, Fehl-, Früh- oder Totgeburten und für den "plötzlichen Kindstod" ("sudden infant death syndrome" SIDS) bei rauchenden Müttern erhöht (siehe Abbildungen 2 und 3).

Schema: schwagere Raucherin

Abbildung 2: Gefahren des Rauchens für das ungeborene Kind [Quelle: DKFZ 2003]

Gefahrenschema auf das Kind

Abbildung 3: Gefahren des Passivrauchens für Kinder [Quelle: DKFZ 2003]

Bei Erwachsenen führt eine Passivrauch - Exposition unter anderem zu Atemwegsbeschwerden, Verschlechterung der Lungenfunktion, einem um 24 % erhöhten Risiko für Lungenkrebs und einem um 25 % erhöhten Risiko für koronare Herzerkrankungen [Hackshaw et al. 1997, He et al. 1999, Wichmann et al. 1999, DKFZ 2003]. Darüber hinaus kommt es zu Irritationen von Augen und Nase bereits bei äußerst geringen ETS - Konzentrationen [Junker et al. 2001].

Auf Basis der verfügbaren Daten wurde abgeschätzt, dass in Deutschland ca. 3.300 Todesfälle pro Jahr dem Passivrauchen zuschreibbar sind [DKFZ 2005].

Die bisherigen epidemiologischen Studien haben im Wesentlichen die ETS-Exposition zu Hause durch rauchende Ehepartner beziehungsweise Eltern und am Arbeitsplatz untersucht. Die Daten des Umweltsurvey 1998 in Deutschland belegen, dass eine ETS-Exposition zu Hause oder am Arbeitsplatz zu messbaren Nikotin- und Cotininkonzentrationen im Urin Erwachsener führt [Heinrich et al. 2005]. Die Tabakrauchbelastung in öffentlich zugänglichen Einrichtungen wie zum Beispiel öffentlichen Verkehrsmitteln, Bürogebäuden oder Restaurants war bisher vor allem unter dem Aspekt einer beruflichen Exposition Gegenstand von Studien [Baker 1999]. Im Zuge der Einführung von gesetzlichen Regelungen des Nichtraucherschutzes wurde das Ausmaß der außerberuflichen Exposition vor bzw. nach In-Kraft-Treten von Rauchverboten in öffentlichen Räumen vermehrt untersucht.

Literatur und Referenzen

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  • Baker RR (1999). Smoke chemistry. In: Davis DL, Nielsen MT. Tobacco. Production, Chemistry and Technology. Blackwell Publishing, Oxford, S. 398-439
  • Bergmann KE, Bergmann RL, Ellert U, Dudenhausen JW (2007). Perinatale Einflussfaktoren auf die spätere Gesundheit. Bundesgesundheitsbl – Gesundheitsforsch – Gesundheitsschutz 50: 670-676.
  • Bolte G, Fromme H for the GME Study Group (2009). Socioeconomic determinants of children’s environmental tobacco smoke exposure and family`s home smoking policy. Eur J Public Health 19: 52-58
  • Brunnemann KD, Kagan MR, Cox JE, Hoffmann D (1990). Analysis of 1,3-butadiene and other selected gas-phase components in cigarette mainstream and sidestream smoke by gas chromatography - mass selective detection. Carcinogenesis 11: 1863-1868.
  • BZgA (Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung) (2006). Förderung des Nichtauchens. Köln.
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  • He J, Vupputuri S, Allen K, Prerost MR, Hughes J, Whelton PK (1999). Passive smoking and the risk of coronary heart disease - a meta-analysis of epidemiologic studies. N Engl J Med 340: 920-926.
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  • IARC (International Agency for Research on Cancer) (Hrsg.) (1986). IARC Monographs on the Evaluation of the Carcinogenic Risk of Chemicals to Humans. Tobacco smoking. Volume 38.
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  • LGL (Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit) (2007). Rauchen und Nichtrauchen in Bayern – Update 2007. Gesundheitsmonitor Bayern Ausgabe 2/2007.
  • RKI (Robert Koch-Institut) (2006). Gesundheit in Deutschland. Berlin.
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