Klimawandel und Infektionserreger: Die wichtigsten Ergebnisse des VICCI - Projekts

Das vom LGL koordinierte interdisziplinäre, bayernweite VICCI (Vector-borne infectious diseases in climate change investigations)-Verbundprojekt wurde von 2008 bis 2012 durchgeführt. Ziel von VICCI war es, mögliche Auswirkungen des Klimawandels auf das Auftreten von Krankheitsüberträgern (Vektoren) und den von Vektoren übertragenen human- und tierpathogenen Mikroorganismen für Bayern zu eruieren. Dazu erhoben Human- und Veterinärmediziner, Parasitologen, Biogeographen und Infektionsepidemiologen aus universitären und außeruniversitären Forschungseinrichtungen sowie dem LGL in acht Teilprojekten Felddaten, die im Hinblick auf verschiedene Klimamodelle extrapoliert wurden und so einer Risikoanalyse zugeführt werden konnten.

Was wurde in den Projekten durchgeführt?

In vier Studien mit Beteiligung der Ludwig-Maximilians-Universität München und des LGL wurde die Häufigkeit des gemeinen Holzbocks (Ixodes ricinus) in unterschiedlichen Biotopen (z.B. Nationalpark Bayerischer Wald, land- und forstwirtschaftlich genutzte Flächen, städtische Parkanlagen) bestimmt und in Beziehung zu geographischen, mikroklimatischen und ökologischen Faktoren (Luftfeuchtigkeit, Temperatur, Beschattung, lokale Pflanzengemeinschaften, Höhenlage) gesetzt, um so relevante Einflussfaktoren auf die Zeckenhäufigkeit identifizieren zu können. Bei einem Teil der gefangenen Zecken wurden auch die Infektionsraten mit Borrelien, Anaplasmen, Rickettsien oder Babesien bestimmt.

Das Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr München untersuchte in Kooperation mit dem LGL das Vorkommen von Nagetier-übertragenen Zoonosen - speziell von Hanta-Viren und Rickettsien in Mäusen - entlang eines Klimagradienten im Nationalpark Bayerischer Wald.

Der Fragestellung, ob die Leishmaniose schon in Bayern angekommen ist, widmete sich die Universität Erlangen mit Untersuchungen zur Vektorprävalenz und zur Existenz tierischer Reservoire.

Das Institut für Biogeografie der Universität Bayreuth erstellte mittels biogeographischer Analysen Szenarien, wie sich neue Krankheitserreger und deren Überträger unter künftig veränderten Klimabedingungen in Bayern etablieren und ausbreiten könnten.

Schließlich wurden vom LGL Modelle für eine bevölkerungsbezogene epidemiologische Risikoabschätzung mit Schwerpunkt Lyme-Borreliose, Hantavirus-Infektionen und Leishmaniose entwickelt und daraus Handlungsansätze für den Infektionsschutz abgeleitet.Parallel zum Verlauf der Studie wurden Ergebnisse und Erkenntnisse der interessierten Bevölkerung und der Fachöffentlichkeit vorgestellt, u.a. über eine eigene Homepage sowie durch mehr als 200 öffentlichkeitswirksame Aktivitäten (Publikationen, Vorträge, Interviews, Durchführung von vier öffentlichen Symposien im Rahmen der Bayerischen Klimawoche).

Ergebnisse

Mehr als 20,000 Ixodes ricinus-Zecken wurden standardisiert mit der Abflaggmethode, d.h. mittels eines durch die niedrige Vegetation gezogenen Baumwolltuchs, an über 40 Beprobungsorten unterschiedlicher Landnutzung in Bayern gefangen (Abbildung). Überraschenderweise konnten wir dabei erstmals in Deutschland eine weibliche Ixodes frontalis in freier Natur finden, die bislang in Deutschland ausschließlich bei Zugvögeln nachgewiesen worden war (Projekt 4).

Übersicht der Beprobungsorte im VICCI Forschungsverbund

Abbildung: Übersicht der Beprobungsorte im VICCI Forschungsverbund: Dargestellt sind die Beprobungsorte sowie die untersuchten Vektoren und Reservoirtiere einzelner Projektmodule. Projekt 1 (P1), Projekt 2 (P2), Projekt 4 (P4), Projekt 5 (P5), Projekt 6 (P6); sowohl von Projekt 1 und Projekt 5 beprobte Orte (7).
An keinen der 220 in Projekt 6 beprobten Standorten fanden sich Sandmücken.

Eine Analyse der Zeckenaktivität in den verschiedenen Untersuchungsgebieten ermittelte eine sehr geringe Zeckendichte (0-2 Zecken pro 100m2) im Nationalpark Bayerischer Wald. Dagegen fanden sich in direkt an den Nationalpark angrenzenden, stark anthropogen beeinflussten Regionen im Beobachtungszeitraum 2010/2011 eine deutlich höhere Zeckenaktivität von 12,4 Zecken /100 m2 (Projekt 1). Diese Ergebnisse zeigen, dass der Einfluss des Menschen mit land- und forstwirtschaftlichen Eingriffen als ganz wesentlicher Faktor für Zecken anzusehen ist. Der Befund, dass in allen acht untersuchten bayerischen Stadtparks mäßige bis hohe Zeckenaktivität nachweisbar war, unterstützt diese Annahme (Projekt 1, Projekt 4). Von den ausgewerteten abiotischen Einflussfaktoren auf die Zeckenaktivität zeigten weder Höhe (Zecken bis 1100m), Temperatur oder Luftfeuchtigkeit einen direkten, linearen Einfluss auf die Zeckenaktivität. Dagegen scheint die Beschattung ein relevanter Faktor zu sein: je schattiger, desto mehr Zecken (Projekt 1).

In untersuchten Zecken wurden regional unterschiedliche Infektionsraten mit verschiedenen Krankheitserregern gefunden: Borrelien (die Erreger der Lyme-Borreliose) waren in bis zu 37% nachweisbar, Anaplasmen (Erreger der humanen granulozytären Anaplasmose) Rickettsien und Babesien (beides Mikroorganismen mit noch unklarer Humanpathogenität) in bis zu 13% bzw. bis zu 1% der untersuchten Zeckenpopulationen (Projekt 1, Projekt 4). Für die Untersuchung auf Hanta-Viren und Rickettsien wurden von 2008-2010 insgesamt 674 Wildmäuse an 23 Beprobungsorten entlang eines Höhengradienten gefangen und serologisch und molekularbiologisch untersucht (Projekt 5). Hantaviren waren in bis zu 40% und Rickettsien in bis zu 12% der Mäuse nachweisbar, letztere erstmalig in Nagetieren aus Deutschland. Gesichert humanpathogene Rickettsien fanden sich allerdings nicht. Bemerkenswerterweise fand sich in 2010, einem Jahr mit besonders vielen Mäusen, eine etwa sechsfach höhere Infektionsrate der Mäuse mit Hanta-Viren (Projekt 5).

Auf der Suche nach Leishmanien und ihren Vektoren, sogenannten Sandmücken (Phlebotomen), wurden über 200 Lichtfallen in allen sieben Regierungsbezirken Bayerns ausgebracht (Abbildung: Beprobungsorte; Projekt 6). Weiter wurden mehr als 1600 Proben von Nagetieren und Haustieren auf Leishmanien untersucht. Im Untersuchungszeitraum konnten weder Phlebotomus-Mücken gefangen noch Leishmanien in potentiellen Wirtstieren nachgewiesen werden (Projekt 6). Daher ist derzeit von einem allenfalls marginalen Leishmanien-Infektionsrisiko in Bayern auszugehen.

Basierend auf Modellierungen wurde die aktuelle wie die künftige klimatische Eignung Bayerns für die europäischen Sandmückenarten Phlebotomus (P.) perniciosus, P. mascittii, P. ariasi, P. neglectus, P. perfiliewi und P. tobbi, den Vektoren der viszeralen Leichmaniose sowie für die europäische Tigermücke Aedes albopictus, dem Vektor für Chikungunya-, Dengue- und West-Nil Virus, untersucht (Projekt 7). Die Klimaprojektionen lassen darauf schließen, dass gegen Ende des 21. Jahrhunderts die Klimabedingungen für einzelne Sandmückenarten und somit Leishmanien teilweise erfüllt sind und daher ein lokales bzw. kleinflächiges Auftreten der Leishmaniose in bestimmten Jahren nicht mehr völlig auszuschließen ist (Projekt 7). Für West-Nil- und Dengue-Viren werden ebenfalls für das Ende des 21. Jahrhunderts in Teilen Bayerns Klimabedingungen errechnet, die das Auftreten von West-Nil- und Denguefieber-Erkrankungen zumindest von Seite der Erreger und ihrer Vektoren ermöglichen (Projekt 7).

Modellentwicklung zur Risikoabschätzung auf Bevölkerungsebene und zur Entwicklung von Handlungsansätzen für den Infektionsschutz

In interdisziplinärer Zusammenarbeit wurden im VICCI-Projektverbund Möglichkeiten für eine bevölkerungsbezogene qualitative Risikoabschätzung für Vektor-übertragene Infektionskrankheiten ? insbesondere für Lyme-Borreliose, Hanta-Erkrankungen und humane Leishmaniose ? entwickelt sowie Handlungsoptionen zur Prävention bzw. Adaption an veränderte Bedingungen für Bayern erarbeitet (Projekt 8.2).

Danach ist, um Bedrohungen und Risiken rechtzeitig erkennen zu können, eine valide und ausreichend sensitive Surveillance unumgänglich. Sie sollte an europäische Standards gekoppelt sein, mehrere Variablen gleichzeitig überwachen und zur Erkennung von Langzeittrend auch langfristig angelegt sein. Frühwarnsysteme sollten insbesondere in Risikogebieten angesiedelt sein, z.B. in bekannten Endemiegebieten oder in der Umgebung von Flug- und Seehäfen.

Bezogen auf die Lyme-Borreliose ist noch unklar, ob der Klimawandel zum Anstieg von Erkrankungen führen wird. Möglicherweise könnte die Lyme-Borreliose sogar abnehmen, wenn etwa durch Hitzeperioden und starke Dürre ein Überleben der Zecken eingeschränkt ist. Da eine wesentliche Einflussgröße die Kontaktrate zwischen Mensch und infizierter Zecke ist, kommt der Aufklärung der Bevölkerung über Risiken und Schutzmöglichkeiten, wie sie beispielsweise durch das Nationale Referenzzentrum für Borrelien am LGL durchgeführt wird, entscheidende Bedeutung zu.

Für Hantavirus-Erkrankungen gibt es Hinweise, dass die Klimaerwärmung zu höheren Erkrankungszahlen und zu einer Ausdehnung der Endemiegebiete führen könnte. Da der Kontakt zu Ausscheidungen infizierter Tiere, insbesondere von Mäusen, die wichtigste Infektionsquelle darstellt, ist eine intensive Aufklärung über die Erkrankung und Möglichkeiten zum Selbstschutz anzustreben.

Nachdem sich die Leishmaniose gegen Ende des 21. Jahrhunderts auch in Bayern etablieren könnte, wäre ein Surveillance- und Frühwarnsystem in den modellierten Risikogebieten empfehlenswert, um in Bayern neu auftretende Vektoren, infizierte Reservoirtiere und humane Fällen rasch zu identifizieren.

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