Diphtherie
- Erreger
- Vorkommen
- Reservoir
- Infektionsweg
- Inkubationszeit
- Klinische Symptomatik
- Diagnostik
- Therapie
- Prophylaxe
- Umgang mit Tieren als (mögliche) Infektionsquelle bei Infektionen mit C.ulcerans und C. pseudotuberculosis
- Maßnahmen in der Umgebung erkrankter Personen
- Meldepflicht
- Literatur
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Erreger
Die Diphtherie (in Form von Nasen-, Rachen-, Kehlkopf- oder Wund- und Hautdiphtherie) wird durch gram-positive Stäbchenbakterien des Genus Corynebacterium spp. verursacht, die das auf Bakteriophagen kodierte Gen (tox) für Diphtherietoxin (DT) tragen. Der klassische Erreger der Diphtherie ist Corynebacterium diphtheriae, aber auch zoonotische C. ulcerans und C. pseudotuberculosis Stämme können das Diphtherietoxin produzieren. In westlichen Industrienationen sind durch toxigene C. ulcerans-Stämme verursachte Diphtheriefälle mittlerweile häufiger als Infektionen durch toxigene C. diphtheriae Isolate.
Nicht-toxigene C. diphtheriae Stämme können lokale Infektionen (Weichteilinfekte), aber auch invasive Infektionen wie z. B. Sepsis und Endokarditis verursachen. Nicht-toxigene Stämme können durch Infektion mit tox+-Bakteriophagen (Phagenkonversion) die Fähigkeit erwerben, Diphtherietoxin zu produzieren.
Vorkommen
Nach einem auch durch Einführung der aktiven Immunisierung bedingten drastischen Rückgang der Diphtherieinzidenz in Europa kam es in den 1990er Jahren nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion zu einem dramatischen Anstieg der Diphtheriefälle in den Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS)-Staaten mit z. T. über 50.000 gemeldeten Fällen pro Jahr. Durch Interventionen der betroffenen Staaten, der World Health Organization (WHO) und der Europäischen Union (EU) konnte diese Epidemie wieder eingedämmt werden.
2022 wurden der WHO aus 34 Ländern insgesamt 5856 Diphtheriefälle gemeldet, von denen die meisten aus den WHO Regionen Südostasien (3958), Afrika (910), östlicher Mittelmeeraum (440) und Europa (362) stammen. Große Diphtherie-Ausbrüche wurden 2022 in mehreren europäischen Ländern unter Geflüchteten und 2023 in mehreren westafrikanischen Staaten (insbesondere aus Nigeria) berichtet.
In Deutschland wurden seit Einführung der Meldepflicht gemäß IfSG 2001 insgesamt 469 Diphtheriefälle dokumentiert. In den letzten 10 Jahren (2014–2023) wurden gemäß IfSG 435 Fälle gemeldet (Abbildung 1). Die oben beschriebenen Fallhäufungen unter Geflüchteten, zumeist durch C. diphtheriae ausgelöste Fälle von Hautdiphtherie, führten in 2022 und 2023 auch in Deutschland zu einem starken Anstieg der Fallzahlen. Die durch toxigene C. diphtheriae verursachten Infektionen sind in der Regel mit Auslandsanamnese in Endemiegebiete bzw. Kontakt mit Personen aus Endemiegebieten assoziiert. Infektionen mit toxigenen C. ulcerans wurden fast ausschließlich in Deutschland erworben und sind in vielen Fällen mit Haustier- bzw. Nutztierkontakt assoziiert.
Abbildung 1: Gemeldete Diphtheriefälle in Deutschland zwischen 2014 und 2023. (*SurvStat Datenstand 12.02.2024)
Reservoir
Einziges bisher bekanntes Erregerreservoir von C. diphtheriae ist der Mensch, bei dem der Erreger den Nasen-Rachen-Raum wie auch die Hautoberfläche kolonisieren kann.
C. ulcerans besitzt nach dem heutigen Kenntnisstand ein sehr breites Wirtsspektrum (Nutz- und Haustiere, Wildtiere, Zootiere). Tier-zu-Mensch-Übertragungen erfolgen häufig von Hauskatze oder Haushund auf den Menschen und werden im Gegensatz zu C.-diphtheriae-Infektionen meist im Inland erworben. Übertragungen von Mensch zu Mensch scheinen dagegen, wenn überhaupt, nur extrem selten aufzutreten.
Das natürliche Reservoir für C. pseudotuberculosis sind Schafe und Ziegen, humane Infektionen sind extrem selten und meist durch berufliche Exposition bedingt.
Infektionsweg
Die klassische Atemwegsdiphtherie wird in der Regel durch Tröpfcheninfektion übertragen, die Hautdiphtherie durch engen Kontakt zu einem Erkrankten oder asymptomatischen Bakterienträger. Die Diphtherie weist einen relativ geringen Manifestationsindex auf, da nur ca. 20 % der nicht-immunen, infizierten Personen erkranken.
Eine Ansteckungsfähigkeit besteht, solange der Erreger in Sekreten und Wunden nachweisbar ist. In der Regel ist es ein Zeitraum von zwei Wochen bei Unbehandelten (selten mehr als vier Wochen). Patienten mit chronischen Hautläsionen (z. B. Ulcera im Rahmen einer Diabeteserkrankung oder chronisch venöser Insuffizienz) können sechs Monate und länger mit dem Erreger kolonisiert sein. Eine wirksame antibiotische Therapie führt normalerweise nach 48 bis 96 Stunden zur Beendigung der Erregerausscheidung. Lokal antiseptische Maßnahmen können die Sanierung chronischer Wundinfektion/Kolonisation unterstützen.
Inkubationszeit
Die Inkubationszeit beträgt 2 bis 5 Tage (selten bis 10 Tage).
Klinische Symptomatik
Man kann zwischen lokal begrenzten und systemischen Formen der Diphtherie unterscheiden. Beide werden durch die Wirkung des DT verursacht.
Am häufigsten ist die lokale Infektion des Respirationstraktes vorzufinden, und zwar hauptsächlich die Tonsillopharyngeal-Region, es kann aber (in absteigender Reihenfolge der Häufigkeit) auch eine laryngeale, nasale oder tracheobronchiale Primärinfektion vorliegen. Die Symptome sind am Anfang unspezifisch, grippeähnlich mit hoher Temperatur bis 39 °C und Schluckbeschwerden. Weiter kommt es zu Heiserkeit (bis zu Aphonie), Stridor, bellendem (kruppösen) Husten, Lymphknotenschwellungen. Typisch sind die zunächst grau-weiß, und später durch Einblutungen bräunlich verfärbten Beläge, die sich über die Tonsillen, Gaumen und Uvula ggf. auch den Kehlkopf, ausbreiten. Diese als Pseudomembranen pathognomonisch beschriebenen Beläge sind schwer entfernbar und legen eine blutende, erregerhaltige Schleimhaut frei. Als charakteristisch gilt auch ein süßlicher Mundgeruch (Foetor ex ore), der vom erfahrenen Arzt bereits in engem Abstand wahrgenommen werden kann. Bei Primärinfektion des Kehlkopfes dominiert zunächst Husten und Heiserkeit, und bei nasaler Diphtherie findet sich typischerweise ein blutig-seröser oder blutig-schleimig-eitriger Schnupfen bei wenig reduziertem Allgemeinbefinden und geringer DT-Absorption.
Eine neurologische Beteiligung kann sich in der Regel nach 1 bis 2 Krankheitswochen zuerst als Gaumensegellähmung mit näselnder Sprache und Schluckbeschwerden manifestieren. Später können Lähmungen folgen. Alle neurologischen Symptome sind nach unterschiedlicher Rekonvaleszenzzeit reversibel.
Bei einer Herzmuskelentzündung (Myokarditis) finden sich Herzrhythmusstörungen (Arrhythmien) sowie Zeichen kardiovaskulärer Dysregulation bis hin zum kardiogenen Schock. Der plötzliche Herztod kann auch schon früh im Erkrankungsverlauf (häufig am 8. bis 10. Krankheitstag, aber auch erst nach 4 bis 6 Wochen) u. a. bei geringfügiger Belastung auftreten (daher konsequente Bettruhe erforderlich).
Die Haut- oder Wunddiphtherie wird mittlerweile in den Industriestaaten häufiger als eine „klassische“ Diphtherie diagnostiziert. Sie manifestiert sich oft nach einem Bagatelltrauma (z. B. Insektenstich) relativ unspezifisch in Form von Hautläsionen mit schmierigen Belägen. Dabei handelt es sich in den meisten Fällen um eine aus den Tropen oder Subtropen importierte Erkrankung, sofern es sich um Infektionen durch C. diphtheriae handelt. Wunddiphtheriefälle werden in Deutschland inzwischen weitaus häufiger durch toxigene C. ulcerans Stämme ohne Reiseanamnese und häufig in Verbindung mit Tierkontakt verursacht. Im Rahmen einer Hautdiphtherie wird durch die toxigenen Corynebacterium Spezies (spp.) Stämme nur sehr wenig DT freigesetzt, so dass toxische/systemische Erscheinungen extrem selten sind. Patienten mit Wunddiphtherie stellen allerdings eine wichtige Infektionsquelle auch für Rachendiphtherie dar.
Nicht DT-vermittelte Infektionen. Im Gegensatz zu den importierten Hautdiphtheriestämmen wird die große Mehrzahl der in westlichen Industriestaaten erworbenen C. diphtheriae-Hautinfektionen durch non-toxigene Stämme verursacht (z. B. Ausbrüche in den USA unter Obdachlosen oder in der Schweiz unter i.v.- Drogenabhängigen). DT-negative Corynebacterium spp.-Stämme können auch Ursache einer Sepsis und Endokarditis sein.
Prognose. Die Letalität der therapierten Atemwegsdiphtherie liegt heute bei 5 bis 10 %, die meisten Todesfälle ereignen sich am 3. bis 4. Krankheitstag. Die Prognose der toxischen Wirkungen ist, wenn sie überstanden sind, gut. Eine überstandene Erkrankung bewirkt keine lang anhaltende Immunität, so dass eine Impfung nach durchgemachter Infektion erforderlich ist.
Diagnostik
Die Diphtherie muss in erster Linie klinisch diagnostiziert werden. Bei klinischem Verdacht auf eine Diphtherie ist umgehend eine Labordiagnostik einzuleiten: der Nachweis des Erregers aus Rachenabstrichen (unter der Pseudomembran), Nasen- oder Wundabstrichen sollte stets angestrebt werden. Die Abstriche sind dabei vor Beginn der spezifischen Therapie, die unverzüglich begonnen werden muss, zu entnehmen. Der labordiagnostische Nachweis schließt die Erregerisolierung (Anzucht auf Spezialnährböden aus geeignetem klinischen Material; daher muss dem Labor die Verdachtsdiagnose Diphtherie unbedingt mitgeteilt werden) sowie den Nachweis des DT aus dem isolierten Stamm mittels tox-Polymerase Chain Reaction (PCR) und Elek-Ouchterlony-Immunpräzipitationstest (Nachweis des sezernierten DT; dieser Test ist notwendig, da tox-positive, nicht DT-sezernierende Stämme beschrieben sind) ein. Mit dem zunehmenden Einsatz von Time-Of Flight Mass Spectrometry (MALDI-TOF MS) in der Erregerdifferenzierung auch in Routinelabors steigt auch der Nachweis von C. diphtheriae und C. ulcerans – z. T. auch im Sinne eines Zufallsbefunds bei Mischinfektionen oder Kolonisationen – kontinuierlich an. Aufgrund ihres klinischen und epidemiologischen Potentials sollten alle Stämme der drei potentiell toxigenen Corynebacterium spp. auf Toxigenität (nach Möglichkeit am Konsiliarlabor für Diphtherie) untersucht werden.
Nicht zuletzt aus präventivmedizinischen und epidemiologischen Gründen sollte auf jeden Fall eine Erregerdiagnostik erfolgen und ein isolierter Stamm stets an das Nationale Konsiliarlabor für Diphtherie am Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit eingesandt werden. Dort können auch Resistenztestungen, Stammdifferenzierungen und -typisierungen (z. B. mittels Multilocus Sequence Typing (MLST) oder Next Generation Sequencing (NGS) zur Identifizierung von Infektionsketten) durchgeführt werden.
Einzelheiten zur mikrobiologischen Diagnostik können auch den Mikrobiologisch-infektiologischen Qualitätsstandards (MiQs) entnommen werden, die im Auftrag der Deutschen Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie (DGHM) erarbeitet wurden.
Eine Infektion verursacht keine sichere Antikörperantwort. Spezifische Antikörper gegen Toxoid können im Serum mit kommerziellen Tests gemessen werden, als Goldstandard gelten jedoch nur Neutralisationstests auf Zellkulturen (vorrangig bei epidemiologischen Fragestellungen).
Therapie
Bei Verdacht auf Rachendiphtherie sollte der Patient umgehend stationär eingewiesen, isoliert und ausschließlich von Personal mit gültigem Impfschutz betreut werden. Da für die Therapie die Eliminierung des noch nicht zellgebundenen freien DT entscheidend ist, muss die Antitoxingabe schnellstmöglich, also schon bei begründetem klinischen Verdacht erfolgen. Dieses kann nach Rücksprache aus den von den Landesapothekerkammern eingerichteten Notfalldepots (s. Rote Liste) bezogen werden. Für die meisten Fälle von Hautdiphtherie ist eine für systemische Symptome ausreichende DT-Absorption unwahrscheinlich, eine Antitoxin-Gabe wird daher i. d. R. nicht empfohlen. Lediglich bei großen Ulcera ( größer als 2 cm2) mit Pseudomembranbildung kann eine Antitoxin-Gabe diskutiert werden.
Die kalkulierte antibiotische Behandlung wird mit Penicillin oder Erythromycin durchgeführt (bzw. bei Unverträglichkeit mit anderen Makroliden wie z. B. Azithromycin oder Clarithromycin). C. ulcerans ist im Gegensatz zu C. diphtheriae regelmäßig in vitro resistent gegen Clindamycin. Die Therapie wird in Abhängigkeit von einer Antibiotikaresistenztestung über insgesamt 14 Tage fortgesetzt. Der Behandlungserfolg sollte mittels nasopharyngealer und/oder Rachenabstrichen bzw. bei Hautdiphtherie mittels nasopharyngealer und Hautabstrichen überprüft werden (Robert Koch-Institut (RKI) Ratgeber für Ärzte).
Prophylaxe
Die wirksamste Prophylaxe ist die entsprechend der geltenden Ständige Impfkommission am Robert Koch-Institut (STIKO)-Empfehlungen durchgeführte Impfung, die alle 10 Jahre aufgefrischt werden sollte (siehe aktuelle Empfehlungen der STIKO). Da die Impfung mit dem Toxoid nur eine antitoxische Immunität hervorruft, sind Impflinge lediglich gegen die Wirkung von DT, also die Erkrankung weitgehend geschützt, nicht jedoch gegen eine Infektion bzw. Besiedelung mit Corynebacterium spp.. Auch Geimpfte können daher Keimträger toxigener und non-toxigener Stämme sein und als Reservoir für Diphtherie-Bakterien dienen (daher die Empfehlung zur antibiotischen Keimeradikation bei Kontaktpersonen unabhängig vom Impfstatus). Während die Durchimpfungsraten bei Kindern und Jugendlichen gegen Diphtherie sehr gut sind, weisen ältere Altersgruppen große Impflücken mit einem häufig nicht mehr adäquaten Impfschutz auf.
Umgang mit Tieren als (mögliche) Infektionsquelle bei Infektionen mit C.ulcerans und C. pseudotuberculosis
Haus- und Nutztiere sind v. a. bei humanen C.-ulcerans-Fällen häufige Infektionsquellen. Daher sollte bei der Anamneseerhebung insbesondere Tierkontakt abgefragt werden. Ggf. sollte nach entsprechender Risikoabschätzung im Rahmen einer Quellensuche veterinärmedizinische Unterstützung zur Probengewinnung hinzugezogen werden. Human- und veterinärmedizinische Isolate mit epidemiologischem Zusammenhang können nach vorheriger Rücksprache zur Feintypisierung an das Konsiliarlabor für Diphtherie geschickt werden. Derzeit existieren keine evidenzbasierten Empfehlungen zum Umgang mit (symptomatischen oder asymptomatischen) tierischen Trägern toxigener Corynebacterium spp. Es gibt jedoch einzelne Fallberichte zur erfolgreichen Eradikationstherapie bei Haustieren (Hunde, Katzen) im Rahmen des Infektionsschutzmanagements humaner Erkrankungen.
Maßnahmen in der Umgebung erkrankter Personen
Die ausführlichen Empfehlungen zu Umgebungsmaßnahmen, Umgang mit asymptomatischen Keimträgern, Tätigkeitsverboten, Wiederzulassung zu Gemeinschaftseinrichtungen und insbesondere Maßnahmen bei engen Kontaktpersonen sind im Detail dem aktuellen RKI Ratgeber für Ärzte zu entnehmen. Engen Kontaktpersonen des Erkrankten sollte eine antibiotische postexpositionelle Prophylaxe (PEP) empfohlen werden. Neben Untersuchung der Nasen- und Rachenabstrichen sollte der Impfstatus geprüft und aktualisiert werden.
Meldepflicht
Es besteht Meldepflicht für Krankheitsverdacht, Erkrankung und Tod an Diphtherie (§ 6 IfSG) sowie seit Juli 2017 eine erweiterte Meldepflicht für den Nachweis aller toxinbildender Corynebacterium spp (namentliche Meldung, § 7 IfSG).
Literatur
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