Konsiliarlabor für Diphtherie: Diphtherie-Ausbruchsgeschehen bei Flüchtlingen

Signet Jahresbericht 2021/22

Abstract

Die Diphtherie ist eine seit dem Altertum bekannte, aber nach wie vor weltweit vorkommende und potenziell lebensbedrohliche bakterielle, toxinvermittelte und meldepflichtige Infektionskrankheit. Seit Einführung der Impfung gegen Diphtherie wurde die Infektionskrankheit immer seltener und ist in Industrienationen aufgrund ausreichend hoher Impfquoten eine Rarität, während sie in vielen Ländern Asiens, Afrikas und Südamerikas nach wie vor endemisch ist. Diphtheriefälle durch den klassischen Erreger Corynebacterium (C.) diphtheriae treten in Deutschland daher meist nach Auslandsaufenthalten in Endemiegebieten oder im Rahmen von Migration auf (Inzidenz < 1: 1 Mio. Einwohner). Eine Wunddiphtherie kann hierzulande auch nach Tierkontakt und Infektion mit den Zoonoseerregern C. ulcerans (und seltener C. pseudotuberculosis) erworben werden (D: 1-20 Fälle pro Jahr). Seit Mitte 2022 ist Deutschland, wie auch andere Länder in Europa (u.a. Schweiz, Österreich, Frankreich, Großbritannien), von einem internationalen Ausbruch mit importierter Diphtherie bei Geflüchteten betroffen.

Hintergrund und Entwicklung

Das Konsiliarlabor (KL) für Diphtherie ist seit 16 Jahren am LGL angesiedelt und unterstützt Ärzte, Laboratorien und Gesundheitsämter bei der Diagnostik dieser Infektionskrankheit. Nach erfolgreicher externer Evaluation wurde es 2022 durch das Bundesministerium für Gesundheit bereits zum sechsten Mal für weitere drei Jahre ans LGL berufen.

Nach den Untersuchungen des Konsiliarlabors für Diphtherie haben Diphtherietoxingen-positive (tox+) C. ulcerans-Stämme (hierzulande erworben und primär zoonotisch übertragen) seit mehr als zehn Jahren den klassischen, fast ausschließlich von Mensch zu Mensch übertragenen Diphtherie-Erreger C. diphtheriae abgelöst. Im Jahr 2022 kam es im Rahmen eines internationalen Diphtherieausbruchs unter Geflüchteten vorwiegend aus Afghanistan und Syrien zu einer Trendwende: Im Mai 2022 wurde im KL Diphtherie der erste Fall einer Wunddiphtherie bei einem jungen männlichen Flüchtling durch tox+ C. diphtheriae diagnostiziert und im weiteren Verlauf bis zum 10. Februar 2023 insgesamt über 170 toxigene C. diphtheriae-Stämme nachgewiesen. Bis zum 22. Januar 2023 wurden dem Robert Koch-Institut (RKI) 147 bestätigte Fälle unter kürzlich angekommenen Migranten übermittelt, vorwiegend mit Hautdiphtherie, gelegentlich auch mit unspezifischer respiratorischer Diphtherie und in Einzelfällen mit klassischer Rachendiphtherie. Viele Fälle wurden bei medizinischen Untersuchungen von Geflüchteten in Erstaufnahmeeinrichtungen diagnostiziert.

Ergebnisse

Wie das am LGL durchgeführte Next Generation Sequencing (NGS) und die (cgMLST-) Feintypisierung und vergleichende Analysen mit entsprechenden Sequenzierdaten der anderen beteiligten europäischen Länder ergaben, handelt es sich im Wesentlichen um vier Hauptcluster mit den Sequenztypen ST-377, ST-384, ST-574 und ST-466, sowie ein zusätzliches Cluster des ST-377 mit Erythromycin- und Clindamycin-resistenten Stämmen. Die meisten betroffenen Personen gaben an, aus Syrien oder Afghanistan geflüchtet zu sein. Obwohl die am RKI und vom Europäischen Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) durchgeführten Fluchtroutenanalysen zeigten, dass die meisten Personen entlang der Balkanroute in die EU gekommen sind, lässt sich derzeit keines der Cluster eindeutig einem Herkunftsland oder einer spezifischen Fluchtroute bzw. einem spezifischen Ort wie einer Gemeinschaftsunterkunft zuordnen. In der Zusammenschau epidemiologischer und phylogenetischer Daten sind daher mehrere Infektionsorte entlang der Fluchtroute außerhalb Deutschlands naheliegend.

Fazit

Bei der Untersuchung von Geflüchteten bei Wundinfektionen sollte differenzialdiagnostisch an eine Wunddiphtherie gedacht werden (mit möglicher parallel vorliegender Besiedelung des Rachens). Fehlende Diphtherie-Impfungen bei Fällen, engen Kontaktpersonen und Fachpersonal sollten nachgeholt werden. Hierbei ist eine enge Zusammenarbeit aller beteiligten Institutionen (Gemeinschaftsunterkünfte, Ärzte, Gesundheitsämter, Landesgesundheitsbehörden, ambulante und klinische Einrichtungen, mikrobiologische Laboratorien der Primärdiagnostik) notwendig. Diphtherie-Übertragungen auch im Falle von Hautdiphtherie sind möglich. Das beschriebene Ausbruchsgeschehen unterstreicht die Bedeutung der hochauflösenden NGS-Analyse als geeignete Typisierungsmethode für die Aufdeckung von Infektketten im Rahmen von Diphtherie-Ausbrüchen und die Notwendigkeit der parallelen Erhebung und Auswertung epidemiologischer Daten.

Literatur

  • Badenschier F, Berger A, et al. Outbreak of imported diphtheria with Corynebacterium diphtheriae among migrants arriving in Germany, 2022. Euro Surveill.
    2022;27(46):pii=2200849. https://doi.org/10.2807/1560-7917.ES.2022.27.46.2200849
  • Dangel A, Berger A, Konrad R, Bischoff H, Sing A: Geographically diverse clusters of nontoxigenic Corynebacterium diphtheriae infection, Germany, 2016-2017.
    Emerg Infect Dis. 2018;24:1239-45. DOI 10.3201/eid2407.172026.
  • Muscat M, Gebrie B, Efstratiou A, Datta SS, Daniels D: Diphtheria in the WHO European Region, 2010 to 2019. Euro Surveill.
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  • RKI-Ratgeber für Diphtherie und in den RKI-Informationen zu Ausbrüchen in Gemeinschaftsunterkünften (www.rki.de/DE/Content/InfAZ/D/Diphtherie/Diphtherie.html).