ReSt – Regensburger Stimmtraining: Ein Präventionsprojekt zu Achtsamkeit und Stimme für Personal an bayerischen staatlichen Schulen
Das Regensburger Stimmtraining wird durch das Arbeitsmedizinische Institut für Schulen in Bayern (AMIS-Bayern) gefördert und ist ein Gemeinschaftsprojekt des AMIS-Bayern und der Universität Regensburg (UR).
In einem interdisziplinären Team aus den Fächern Methoden der empirischen Bildungsforschung, Sprechwissenschaft/Sprecherziehung und Medizinische Psychologie in Zusammenarbeit mit dem Communication and Voice Center for Teachers (CoVoC-T) wird in den kommenden drei Jahren eine Webanwendung zur Stimmhygiene und Prävention von Stimmstörungen für bayerisches Schulpersonal entwickelt.
Projektbeteiligte. (v.l.n.r.) Prof. Dr. Sven Hilbert (UR), Dr. Christian Gegner (UR), Prof. Dr. Caroline Herr (LGL), PD Dr. Wieland Kranich (UR), Prof. Dr. Anita Schilcher (UR), Dr. Sarah Becker (AMIS-Bayern), Jonas Trautner (UR), Dr. Meike Sons (AMIS-Bayern), Victoria Heumann (AMIS-Bayern), Marina Giglberger (UR), Prof. Dr. Brigitte M. Kudielka (UR), Prof. Dr. Stefan Wüst (UR) (Bildnachweis: © LGL)
Projektziele
Die grundsätzliche Intention des Regensburger Stimmtrainings ist es, ein langfristiges und nachhaltiges Web-basiertes Training zur Prävention von Stimmstörungen zu entwickeln, welches nach Abschluss des dreijährigen Projekts dem Personal an bayerischen staatlichen Schulen kostenlos zur Verfügung gestellt werden soll. Das Projekt leistet somit einen wichtigen Beitrag zur Stimmgesundheit der bayerischen Schulfamilie. Hierdurch wird dem Wunsch bayerischer Lehrkräfte nach mehr Berücksichtigung und Information zu Stimmprophylaxe und Stimmhygiene entsprochen (Fröhlich-Necker, 2021).
Die übergeordneten Projektziele sind die
- Schaffung eines Bewusstseins für die Bedeutsamkeit der eigenen Stimme und Sprechweise im Lehrberuf
- Vermittlung eines gesunden Umgangs mit und Einsatzes der eigenen Sprechweise im Unterricht
- Vermittlung von Maßnahmen zur Stimmhygiene, Stressbewältigung und Arbeitsorganisation
- Erhöhung der Selbstwirksamkeit im Unterricht
- Schließung einer Versorgungslücke, indem die momentan auf Präsenz ausgelegten Trainingsprogramme in Form einer Webanwendung digital verfügbar gemacht werden
Projektbeschreibung
Das Projekt und die Entwicklung der Webanwendung gliedern sich in fünf aufeinander aufbauende Phasen:
- Planung & Entwicklung: Konzeption der Inhalte und des Aufbaus der Webanwendung
- Pilotierung: Überprüfung der Usability und Funktionalität der Anwendung
- Testphase: Wirksamkeitsuntersuchung mit einer Stichprobe bayerischer Lehrkräfte
- Datenauswertung: Zusammenführung und Integration der erhobenen Daten
- Dissemination: Aufbereitung der Ergebnisse und Vorstellung beim Zielpublikum
Projektübergreifend ist die enge Einbindung des Zielpublikums (staatliches Schulpersonal) vorgesehen. Nach Abschluss des Projekts wird die Webanwendung dem bayerischen Schulpersonal zur Nutzung kostenlos zur Verfügung stehen.
Aktuelles zum Projekt
Am 04.07.2022 fand im Rahmen des Beiratstreffens des Communication and Voice Center for Teachers (CoVoC-T) ein erster Workshop zu Inhalten der Webanwendung mit Vertreterinnen und Vertretern unterschiedlicher Stakeholder statt: Lehrkräfte, Sprecherziehung/Didaktik der deutschen Sprache und Literatur, Phoniatrie und Logopädie.
Weiterführende Informationen zum Thema Stimme bei Lehrkräften
Berufe werden nach Ausmaß der stimmlichen Belastung in unterschiedliche Level eingeteilt:
Level | Gruppe | Berufsbeispiele | Auswirkungen von Stimmstörungen |
---|---|---|---|
Level I | Hochleistungs-stimmberufe (elite vocal performer) |
z. B. Sängerinnen und Sänger, Schauspielerinnen und Schauspieler |
Bereits geringfügige Abweichungen der Stimmfunktion können zu schweren beruflichen Konsequenzen führen. |
Level II | Berufssprecherinnen und Berufssprecher (professional voice users) |
z. B. Lehrkräfte, Geistliche, Dozentinnen und Dozenten, Politikerinnen und Politiker | Moderate Belastungen können die berufliche Leistungsfähigkeit einschränken bzw. den beruflichen Einsatz unmöglich machen. |
Level III | Nicht-Berufssprecherinnen und Berufssprecher (non-vocal professionals) |
z. B. Juristinnen und Juristen, Ärztinnen und Ärzte, Geschäftsleute, Rezeptionistinnen und Rezeptionisten | Die Stimme wird zur Berufsausübung benötigt, schwere Stimmstörungen können dies unmöglich machen. |
Level IV | Berufe ohne Stimmbedarf (non-vocal non-professionals) |
z. B. Laborpersonal, Büroangestellte, Bibliotheksangestellte | Auch bei schwerer Stimmstörung ist eine Berufsausübung möglich. |
nach: Schneider-Stickler & Bigenzahn 2013, Seite 5)
Die Darstellung weist auch auf ein Dilemma hin: Während bei Sängerinnen und Sängern und berufsmäßig schauspielende Personen, also Angehörigen der künstlerischen Hochleistungsstimmberufe, bei hohen stimmlichen Belastungen auch eine hohe stimmliche Leistungsfähigkeit vorausgesetzt wird, trifft dies für Angehörige der Berufssprecher nicht zu. Als „professional voice users“ werden Lehrkräfte im Unterschied zu „elite vocal performers“ (berufsmäßig schauspielende Person, Sängerinnen und Sänger) in Bayern nicht ausreichend auf ihren stimm- und sprechintensiven Beruf vorbereitet (Schneider-Stickler & Bigenzahn, 2013). Die Folge ist, dass die Prävalenz von Stimmstörungen in der Berufsgruppe der Lehrkräfte im Vergleich zu Nicht-Lehrkräften deutlich erhöht ist (Roy et al., 2004).
FAQ zu Stimmstörungen
Was sind Stimmstörungen?
Grundsätzlich lassen sich von einer gesunden Stimme (normalem Stimmklang = Euphonie) zum einen der gestörte Stimmklang (= Dysphonie) und zum anderen die Stimmlosigkeit (= Aphonie) unterscheiden (Schneider-Stickler & Bigenzahn 2013, 10).
Hauptsymptome einer Stimmstörung können neben Heiserkeit Einschränkungen der stimmlichen Belastbarkeit und subjektive Missempfindungen sein (ebd., 10). Stimmstörungen können weiterhin in organische Dysphonien (primär ursächlich organische Veränderungen im Kehlkopfbereich) und funktionelle Dysphonien (ohne primäre organische Veränderungen im Kehlkopfbereich) unterschieden werden, wobei sich die jeweils primäre Erscheinung in eine andere Form sekundär verändern kann (vgl. ebd., 11f.).
Bei Lehrkräften finden sich häufig funktionelle Ursachen, wie erlernte oder stressbedingte Verhaltensweisen in den Bereichen Körperhaltung und Spannung, Atmung, Stimmgebung und Artikulation, die sich ungünstig auf die Stimmfunktion auswirken können.
Was begünstigt die Entstehung eine Stimmstörung?
Grundsätzlich können viele Risikofaktoren die Entstehung einer Stimmstörung begünstigen. Hier finden Sie die wichtigsten Punkte:
Langer und intensiver Stimmgebrauch:
Die reine Sprechzeit bei Lehrkräften ist immens. Sie sprechen über viele Stunden am Tag vor und mit unterschiedlichen Personen. Hierbei werden die an der Stimmgebung beteiligten Organe extrem gefordert (Vilkman, 2004).
Ungünstige Raumakustische Bedingen:
Insbesondere Umgebungslärm oder hohe Nachhallzeiten (Echo) stellen ein Risiko für die Stimmfunktion dar. Häufig wird versucht durch mehr Kraftaufwand die Störgeräusche zu übertönen (Schick et al., 2000).
Anpassung an die kindliche Stimme:
Besonders im Primarschulbereich sind Lehrkräfte täglich mit viel höheren Stimmen ihrer noch jungen Schülerinnen und Schüler konfrontiert. Hier stellen v. a. das Singen in den höheren Tonlagen der Kindern Herausforderungen dar (Södersten et al., 2002).
Ungünstige Stimm- und Sprechtechnik, mangelnde Stimmkonstitution:
Erlernte oder anerzogene ungünstige Verhaltensweisen in den Bereichen Körperhaltung und -spannung, Atmung, Stimmgebung und Artikulation können sich unphysiologisch auf die Stimmfunktion auswirken (Schneider et al., 2004).
Stresserleben:
Unterrichten von wenig motivierten Schülerinnen und Schülern, Disziplinprobleme, Zeitdruck und hohe Arbeitsbelastung können das empfunden Stresserleben steigern. Da Stress auch Auswirkungen auf die muskulären Spannungsverhältnisse im Körper nimmt, kann sich das subjektive Stressempfinden auch auf die an der Stimmgebung beteiligten Organe ungünstig auswirken (Gassull et al., 2010).
Was sind die Auswirkungen einer gestörten Stimmfunktion?
Die Auswirkungen von Stimmstörungen bei Lehrkräften sind in der Zwischenzeit sehr fundiert erforscht. Hier finden Sie einen Überblick über die Folgen einer gestörten Stimmfunktion – sie betreffen nicht nur die einzelne Person, sondern das gesamte Schulsystem und auch die Seite der Schülerinnen und Schüler:
Außerschulisches Kommunikationsverhalten:
Eine eingeschränkte Stimmfunktion bei Lehrkräften macht nicht an der Türe des Schulgebäudes halt, sondern erstreckt sich auch auf den privaten Bereich. Betroffene geben eine geringere Lebensqualität und Frustration aufgrund ihrer mangelnden stimmlichen Leistungsfähigkeit an (Hwa Chen et al., 2010).
Gesteigertes Stressempfinden:
Stress kann nicht nur Auslöser, sondern auch Folge einer mangelnden stimmlichen Leistungsfähigkeit sein. Betroffene beklagen häufig einen Aufmerksamkeitsverlust ihrer Schülerinnen und Schüler, der sich auch in stärkeren Disziplinproblemen äußern kann. Diese Phänomene erhöhen wiederum das Stressempfinden der betroffenen Lehrkraft (Gassull et al., 2010).
Verstehens- und Behaltensleistung der Schülerinnen und Schüler:
Die Folgen von heiseren Stimmen von Lehrkräften sind auch für die Schülerinnen und Schüler spürbar: Bereits bei gering heiseren Stimmen sinkt die Verstehens- und Behaltensleistung von Schülerinnen und Schülern. Dies trifft besonders bei schwierigen Aufgaben zu (Voigt-Zimmermann, 2017).
Schülerinnengesundheit und Schülergesundheit:
Schülerinnen und Schüler passen sich den Stimmgewohnheiten ihrer Lehrkräfte an. Durch den unbewussten Nachvollzug muskulärer Spannungen beim Zuhören, können auch Schülerinnen und Schüler heiser werden (Spiecker-Henke, 1997, 13f.).
Wirtschaftliche Auswirkungen:
Durch Stimmerkrankungen bei Lehrkräften entstehen Fehltage und Stundenausfälle. Hierbei handelt es sich um finanzielle Auswirkungen auf das gesamte Schul- und Gesundheitssystem (Richter & Echternach 2010).
Kann präventiv etwas unternommen werden?
Untersuchungen zeigen, dass ein Training der Stimme der Entstehung von Stimmstörungen entgegenwirken kann (Richter et al., 2017) und die Effekte anhaltend zu sein scheinen (Nusseck et al., 2021). Der Frage, mit welchen speziellen Methoden das stimmliche Befinden verbessert werden kann und welche Rolle hierbei das empfundene Stresserleben spielt, widmet sich das neue Präventionsprojekt zu Achtsamkeit und Stimme für Personal an bayerischen staatlichen Schulen. Ziel des „Regensburger Stimmtrainings“ (ReSt) ist die Entwicklung und wissenschaftliche Begleitung einer Webanwendung zur Prävention von Stimmstörungen bei Lehrkräften. Die Webanwendung wird nach der dreijährigen Projektlaufzeit der gesamten bayerischen Schulfamilie kostenlos zur Verfügung stehen.
Ansprechpartner
Anfragen rund um das Projekt senden Sie bitte an amis-bayern@lgl.bayern.de.
Darüber hinaus stehen Ihnen die zuständigen Projektmitarbeiterinnen und Projektmitarbeiter des AMIS-Bayern und der Universität Regensburg für Fragen zur Verfügung.
AMIS-Bayern
Dr. Meike Sons
Arbeits- und Organisationspsychologin
Staatlich angerkannte Logopädin
E-Mail*: Meike.Sons@lgl.bayern.de
Universität Regensburg
Dr. Christian Gegner
Sprecherzieher Univ./ DGSS
E-Mail*: Christian.gegner@ur.de
* Wichtiger Hinweis für Anfragen per E-Mail: Bitte nutzen Sie Ihre dienstliche E-Mailadresse und geben Sie den Namen Ihrer Schule an.
Quellen und Publikationen
Fröhlich-Necker, J. (2021). Selbsteinschätzung der Stimmsituation bayerischer Lehrer:innen (= unveröffentlichte Masterarbeit an der Universität Regensburg.
Gassull, C., Casanova, C., Botey, Q., & Amador, M. (2010). The impact of the reactivity to stress in teachers with voice problems. In: Folia Phoniatrica et Logopaedica, 62 (1–2), 35–39.
Hwa Chen, S., Chiang, S.-C., Chung, Y.-M., Hsiao, L.-C., & Hsiao, T.-Y. (2010): Risk factors and effects of voice problems for teachers. In: Journal of Voice, 24 (2), 183–192.
Nusseck, M., Richter, B., Echternach, M., & Spahn, C. (2017): Psychologische Effekte eines präventiven Stimmtrainings im Lehramtsreferendariat. In: HNO, 65 (7), 599–609. https://doi.org/10.1007/s00106-016-0157-3.
Nusseck, M., Immerz, A., Spahn, C., Echternach, M., & Richter, B. (2021). Long-term effects of a voice training program for teachers on vocal and mental health. In: Journal of Voice, 35 (3), 438–446.
Richter, B., & Echternach, M. (2010). Stimmdiagnostik und -therapie bei Angehörigen stimmintensiver Berufe. In: HNO, 58 (4), 389–396.
Richter, B., Spahn, C., Echternach, M., Immerz, A., & Nusseck, M. (2017). Evaluation eines Seminarangebots zur stimmlichen und mentalen Gesundheit im Lehramtsreferendariat – eine empirische Studie. In: Fuchs, M. (Hg.): Die Stimme im pädagogischen Alltag (= Kinder- und Jugendstimme, Band 11), Berlin: Logos, 65–81.
Roy, N., Merrill, R. M., Thibeault, S., Gray, S. D., & Smith, E. M. (2004). Prevalence of voice disorders in teachers and the general population. In: Journal of Speech, Language and Hearing Research, 47 (2), 281–293.
Schick, A., Klatte, M., & Meis, M. (2000): Die Lärmbelastung in der Schule. In: Huber, Ludowika & Odersky, Eva (Hg.): Zuhören – Lernen – Verstehen, Braunschweig: Westermann Schulbuchverlag, 81–91.
Schneider, B., Cecon, M., Hanke, G., Wehner, S., & Bigenzahn, W. (2004). Bedeutung der Stimmkonstitution für die Entstehung von Berufsdysphonien. In: HNO, 52 (5), 461–467.
Schneider-Stickler, B., & Bigenzahn, W. (2013). Stimmdiagnostik. Ein Leitfaden für die Praxis, 2. Auflage, Wien: Springer.
Spiecker-Henke, M. (1997): Leitlinien der Stimmtherapie, Stuttgart: Thieme.
Vilkman, E. (2000): Voice problems at work: challenge for occupational safety and health arrangement. In: Folia Phoniatrica et Logopaedica, 52 (1–3), 120–125.
Voigt-Zimmermann, S. (2017). Auswirkungen der heiseren Stimme von Pädagogen auf die Leistungen von Kindern. In: Fuchs, M. (Hg.): Die Stimme im pädagogischen Alltag (= Kinder- und Jugendstimme, Band 11), Berlin: Logos, 37–48.